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Kirche in WDR 4 | 19.08.2014 | 08:55 Uhr
Böses überwinden
Keine Gewalt! Das war die Parole in der Leipziger Nikolaikirche. Vielleicht erinnern Sie sich, liebe Hörerin, lieber Hörer: Dort entwickelten sich in den 80er Jahren aus den Montagsgebeten die großen Massendemonstrationen. Und die haben damals auch mit dazu beigetragen, dass es in der ehemaligen DDR zu einer friedlichen Revolution kommen konnte.
Diese Demonstrationen waren ja nichts anderes als – ja: nach außen verlagerte Gebete. Die Verantwortlichen haben den Menschen ein Liederheft in die Hand gedrückt, und dann bekam jeder auch noch eine Kerze. Christian Führer, der im Juni gestorben ist, war damals Pfarrer in der Nikolaikirche. In seinem Buch zitiert er den Volkskammerpräsidenten Sindermann: „Wir waren auf alles vorbereitet. Nur nicht auf Kerzen und Gebete.“(1)
Keine Gewalt! Diese Parole war natürlich an die Adresse der Sicherheitskräfte gerichtet, die überall präsent waren. Denn: Man rechnete damit, dass sie gewaltsam eingreifen würden.
Aber: Keine Gewalt - das war auch ein Aufruf an sich selbst! Eine Ermahnung an die eigene Adresse. Nämlich auch selbst der Versuchung zu widerstehen, mit gewaltsamen Mitteln vorzugehen.
Keine Gewalt! Diese Parole war kurz und bündig. Man kann es auch so sagen: Das war die kürzeste und bündigste Übersetzung der Bergpredigt Jesu.
„Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem!“ (Römer 12,21) schreibt der Apostel Paulus in einem seiner Briefe und auch diese Worte atmen den Geist der Bergpredigt Jesu.
Gut: Das kann einem wie eine unrealistische moralische Überforderung vorkommen – was der Paulus da in seinem Brief schreibt. Aber damals vor 25 Jahren in Leipzig ist es Wirklichkeit geworden. Es geht. Sicher nicht immer und überall. Aber: Es geht.
Paulus propagiert hier keine Ideologie für Gutmenschen und er ist auch nicht naiv. Er kennt die negative Kraft des Hasses und der Feindschaft. Er weiß etwas von der zerstörerischen Kraft menschlicher Aggressionen.
Aber Paulus meint: Christen haben eine andere Ausgangslage, damit umzugehen. Weil Gott barmherzig ist, können sich die Glaubenden ihm rückhaltlos anvertrauen. Sie wissen: Gott stärkt ihnen den Rücken, sich nicht von Rachegelüsten und Gewaltphantasien überwältigen zu lassen. Sondern den schwierigeren und doch richtigen Weg zu gehen: Böses nicht mit Bösem zu vergelten. Es geht auch anders.
Freilich schreibt Paulus hier auch kein Rezept für alle Lebenssituationen. Konflikte und Streit gehören zum Alltag mit dazu. Wir können sie nicht immer vermeiden. Das wäre auch falsch. Es ruht kein Segen darauf, wenn man immer alles unter den Teppich kehrt. Das kann sich bitter rächen. Aber wir können möglicherweise zur Entschärfung von Konflikten beitragen oder helfen, den Kreislauf von Eskalation und Vergeltung aufzubrechen.
Es ist auch möglich, jemanden zu bitten, eine vermittelnde Rolle zu übernehmen und die Regeln für eine faire Auseinandersetzung zu überwachen. Oder wir übernehmen selbst eine solche Rolle. So wird das ja heute in vielen Schulen gemacht. Dort gibt es Streitschlichter. Das sind in der Regel speziell hierfür ausgebildete Schülerinnen und Schüler. Ein Erfolgsmodell, das mich sehr beeindruckt.
Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem. Das ist keine Phantasterei – das geht wirklich! Gott mit Ihnen an diesem Tag, das wünscht Ihnen Pfarrer Frank Küchler aus Marialinden.
(1) Christian Führer: Und wir sind dabei gewesen. Die Revolution, die aus der Kirche kam, Berlin 2010, S. 219.
