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Kirche in WDR 4 | 26.12.2014 | 08:55 Uhr
Vernetzt in der Trauer - 10. Jahrestag des Tsunamis in Asien
Palmen, weißer Sandstrand, türkisblaues Meer. Ein Traumziel. Doch was sie hier zusammenführt ist ein Alptraum. Genau zehn Jahre ist es her, da bebt für rund sieben Minuten die Erde. Zwei Kontinentalplatten heben und senken sich. Das löst vier Flutwellen im Meer aus. Die Zahl der Opfer: 230.000 Tote und 1,7 Mio. Menschen ohne Obdach in 15 Staaten. Unter den Opfern auch zahlreiche Touristen, die ihren Weihnachtsurlaub unter Palmen verbringen wollten. Heute, am 10. Jahrestag der Naturkatastrophe, versammeln sich Angehörige von ihnen in Thailand, in Khao Lak, am Strand zu einem Gedenkgottesdienst. Begleitet werden sie von einem Team der Evangelischen Notfallseelsorge und des Deutschen Roten Kreuzes.
Ben Atréu Flegel heute 25 Jahre alt, war vor zehn Jahren fünfzehn und mit seinen Großeltern im Urlaub. Am 26. Dezember gingen sie zum Strand. Er hatte sein Handtuch vergessen und ging allein zurück zum Bungalow. Noch schien alles ganz normal.
Ben Atréu Flegel: Und ´n paar Sekunden später macht es wie klick, und plötzlich fingen alle Leute an zu schreien, alle liefen rum, mich wusste gar nicht warum. Bin blind losgerannt zu meinem Bungalow, Treppe hoch, 1. Stock, Tür auf, Tür zu und in dem Moment, wo ich die Tür zu machte, sprang die Scheibe, in dem Moment kam das Wasser schon rein, erwischte mich, schmiss mich an die Wand. Ich versuchte die Tür wieder aufzureißen, aber es ging nicht. Binnen Sekunden stand mir das Wasser eigentlich bis zum Hals und ich hing in der Ecke und ich dachte, jetzt macht´s Snap.
Autorin: Erfahrungen, die man kaum beschreiben kann, es ist unsagbar. Ben Atréu Flegel weist immer wieder darauf hin.
In der Bibel beschreibt ein Beter es so:
Gott, hilf mir!
Denn das Wasser geht mir bis an die Kehle.
Ich versinke in tiefem Schlamm,
wo kein Grund ist;
…und die Flut will mich ersäufen.
(Psalm 69)
Ben Atréu Flegel: Das war´n langer Moment, verständlicherweise so, wo man spürt, dass jede Zelle im Körper danach schreit, jetzt nicht zu gehen. Irgendwann gab´s ´n irrationalen Impuls, wo ich Luft geholt hab, weil ich gemerkt hat, ok - es wird immer höher, es gibt gleich keine Luft mehr. Also hab ich Luft geholt und bin gewissermaßen durchgetaucht, durch den Raum durch an die vordere rechte Seite, weil dort war noch der Vorhang zu sehen, dort hab ich mich festgehalten, bin nach draußen, hab Luft geholt. Dann kam die 2. Welle, hat mich durch den Raum geschleudert, ich bin also von da – 2. Anlauf – an die linke Seite des Raums geschwommen, hab mich an dem anderen Vorhang festgehalten, und hab dort dann so lange ausgeharrt, draußen Luft geholt, drinnen geschaut, dass ich nicht ins Meer gezogen werde, bis die Welle wieder brusthoch war, irgendwann war sie hüfthoch…
Autorin: Ben Atréu Flegel war verletzt. Ein Loch im Knie, ein Stück Fleisch vom Fuß war abgerissen. Seine Großeltern hat er nie wieder gesehen. Er schaffte es auf abenteuerlichen Wegen und mit enormem Überlebenswillen auf einen Lastwagen zu kommen und ins Krankenhaus. Von dort wurde er nach Bangkok geflogen und später dann nach Hause. Prägend war für ihn diese Erfahrung:
Ben Atréu Flegel: Drei Bungalows, die waren komplett weg. Weil, das Wasser konnte über die Bucht praktisch ungebremst auf diese vier Bungalows, wo auch meiner betroffen war, auf uns zurasen. Und diese drei Bungalows, da war kein Stein mehr vorhanden. Auf der linken Seite waren oben noch die Scheiben drin und diejenigen, die ins Landesinnere sind, konnten den Tresor öffnen und ihre Pässe holen. Das waren hundert Meter zwischen rechts und links, zwischen Pässe holen und das Haus ist weg.
Autorin: Diese Erfahrung von Ohnmacht und Einbruch von Tod ins Leben braucht nicht nur direkte menschliche Zuwendung und Fürsorge, psychologisch-therapeutische Begleitung, sondern auch Rituale und Zeichen, die helfen mit dem Trauma umzugehen. Hat Ben Atréu Flegel Gott in dieser Situation gespürt:
Ben Atréu Flegel: Die Gegenwärtigkeit ist das, was mich da getragen hat und was mich da durchgeführt hat und in ´ner Form von absoluter Gegenwärtigkeit, wenn man darin vielleicht ´ne mystische Spur von Gott lesen mag, oder darin, dann ja, aber nicht als – ich habe nie gebetet, dass mich jetzt hier irgendjemand rausholt, weil mir war ganz klar, dass mein eigenes System gerade für sich selbst verantwortlich ist.
Autorin: Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen heißt es in einem Kirchenlied. Daran erinnert heute der Gedenkgottesdienst in Thailand. Und daran, dass wir in Trauer und Schmerz nicht allein bleiben. Dass Sie heute behütet bleiben wünscht Ihnen an diesem Weihnachtsmorgen, Petra Schulze, Rundfunkpfarrerin in Düsseldorf.
http://www.ekir.de/www/service/tsunami-gedenken-18205.php