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Kirche in WDR 4 | 04.02.2015 | 08:55 Uhr
Und hätte der Liebe nicht...
Guten Morgen, Anfang Januar bin ich als Militärpfarrerin nach Afghanistan geflogen – zu einer so genannten Vorerkundung ins Camp Marmal nach Mazar e Sharif. Fünf Tage besuchte ich dort eine Kollegin, um die kirchliche Arbeit unter den besonderen Bedingungen des Auslandseinsatzes kennen zu lernen. Dabei habe ich Soldatinnen und Soldaten kennen gelernt, die dort ihren Dienst leisten. Deutsche und Soldatinnen und Soldaten vieler anderer Nationen arbeiten in Mazar e Sharif im Rahmen der Ausbildungs-, Beratungs- und Unterstützungsmission „Resolute Support Mission“.
Militärpfarrerin Barbara Reichert begleitet die deutschen Soldatinnen und Soldaten. Hört sich ihre Sorgen und Nöte an. Feiert Gottesdienste mit ihnen. Bietet Kinoabende an. Hält Vorträge. Jeden Freitag lädt sie zum Bibelfrühstück ein: Man isst zusammen, dann hören alle auf einen Text aus der Bibel. Die Soldatinnen und Soldaten kommen über die alten Worte ins Gespräch, diskutieren miteinander und stellen Fragen. Seit drei Monaten ist Barbara Reichert nun schon dort. Einen Monat bleibt sie noch. Bis ich sie als Militärpfarrerin ablösen werde. Um dann selber vier Monate meines Lebens mit den Soldatinnen und Soldaten fernab der Heimat zu teilen.
Seit zwei Jahren schon weiß ich, dass ich für diesen Einsatz geplant bin. Das hat meine Wahrnehmung verändert. Denn seither ist das ferne Afghanistan näher gerückt, ebenso wie die tiefgreifenden Konflikte, die Gewalt und die vielen politischen, kulturellen und religiösen Fragen. Sie sind nicht mehr abstrakt für mich, die Medienberichte über die Taliban, über Kampfhandlungen, Bombenanschläge, über die Wahl des afghanischen Präsidenten und die Besuche der Verteidigungsministerin. Berichte immer wieder auch über den Tod von afghanischen, aber auch deutschen Soldaten und der vielen, vielen zivilen Opfern dieser Konfliktregion.
Was mich vor allem bewegt und erschreckt, ist die Gewalt, der die Menschen in diesem Land nun schon seit über 30 Jahren ausgesetzt sind und zu der Menschen dort fähig sind: dass Bomben mitten auf der Straße explodieren, im Straßenverkehr, auf Marktplätzen. Gewalt, in der das Leben eines Menschen keinen Wert mehr hat. Menschenwürde zählt nicht. Wie sehr muss man hassen, frage ich mich. Oder wie groß muss die eigene Angst sein oder die Gier nach Macht? Warum geht es nicht friedlich?
Afghanistan hat mir diese Fragen näher gebracht. Aber sie stellen sich in Europa inzwischen genauso. Der Anschlag von Paris, Terrorwarnungen, Alarmbereitschaft. Die Täter missbrauchen ihre Religion, um solche Taten zu rechtfertigen. Und dies gibt anderen – wie den Pegida-Demonstranten – Nahrung für ihre Vorurteile.
Es ist und bleibt für mich unverständlich, wenn im Namen der Religion brutal getötet wird. Für mich hat Religion wesentlich mit Gottvertrauen, Freiheit, Schönheit und vor allem und in erster Linie mit Liebe zu tun. Auch wenn ich weiß, dass auch der christliche Glaube im Lauf der Geschichte missbraucht wurde für schreckliche Taten.
In Afghanistan habe ich eine Messe besucht, die ein katholischer Kollege gehalten hat - im Haus Benedikt, der siebeneckigen Kapelle des Camps. Über konfessionelle Grenzen hinweg haben wir Gottesdienst miteinander gefeiert. Der Predigttext stand an jenem Tag im 1. Johannesbrief: „Wenn jemand spricht: Ich liebe Gott, und hasst seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, der kann nicht Gott lieben, den er nicht sieht.“ (1. Johannes 4,20) Ja, nur so geht es vor Gott. Nur mit Liebe.
Einen Tag mit liebevollen Gedanken und Begegnungen wünscht Ihnen Claudia Kiehn, Pfarrerin aus Münster!