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Kirche in WDR 4 | 13.04.2016 | 08:55 Uhr
Die ganz andere Utopie
Guten Morgen! Lasst uns doch mal eine Utopie entwickeln. Sagte Jesus. Wie stellt ihr euch denn die perfekte Welt vor? Die perfekte Gesellschaft, in der ihr gerne leben würdet? Und die ihr euch von Gott wünscht? Die Frage war echt, keine Rhetorik. Die meisten dachten an das Reich Gottes, von dem damals zurzeit Jesu viel die Rede war und auf das alle warteten. Und viele stellten es sich so vor: Das Reich Gottes gleicht einem sehr prächtig geschmückten Thronsaal eines großen Königs. Er sitzt da auf seinem Thron in aller Pracht und Herrlichkeit. Die Menschen haben Zutritt zu diesem Thronsaal, wenn sie ein besonders gerechtes Leben geführt haben. Oder so: Das Reich Gottes ist, wie wenn ein Feldherr eine Schlacht gewinnt. Die Feinde werden geschlagen und viele Menschen werden vernichtet. Der Feldherr zieht in einem Triumphzug nach Hause zurück. Er wird von der jubelnden Menge gefeiert, die am Straßenrand steht. Oder das Reich Gottes wird sein, wie wenn ein oberster Richter Gericht hält. Alle Menschen werden sich vor ihm verantworten müssen. Dann wird man ja schon sehen, wer unbestechlich war und gerecht. Und wer ungerecht und böse gewesen ist. So könnte das Kopfkino der Menschen gewesen sein, als Jesus sie fragte: Beschreibt doch mal – in welcher Welt wollt ihr leben? Wie stellt ihr euch denn das Reich Gottes vor?
Nachdem Jesus sich angehört hatte, was die anderen meinen, beschrieb er das Reich Gottes. Als Sohn Gottes musste er ja wissen, wie es aussehen wird. Seine Beschreibung verblüffte die Hörer. Alles, was sie sich dazu vorgestellt hatten, alle Macht und die Herrlichkeit Gottes, sie kamen darin nicht vor. Jesus sagte: Das Reich Gottes ist wie ein Senfkorn. Wie ein kleines Senfkorn. Es ist eines der kleinsten unter den Samenkörnern, die ein Mensch aufs Land wirft. Man kann es in der Hand zerdrücken und es leicht verlieren. Die Menschen kannten schon damals den Senf als Nutz- und Heilpflanze. Es gab verschiedene Arten: schwarzen, gelben und weißen Senf. Sie alle kommen in der Natur vor und wurden schon vor Jahrtausenden kultiviert. Es war ein Gartengewächs, aus dem Öl und Senf hergestellt wurde.
So wie ein Senfkorn beginnt es mit dem Reich Gottes, malte Jesus aus: klein und unbedeutend. Aber es liegt in ihm eine große Kraft. Aus dem Senfkorn wird eine große Pflanze. Wenn es gesät ist, fuhr Jesus fort, so geht es auf und wird größer als alle Kräuter und treibt große Zweige, sodass die Vögel unter dem Himmel unter seinem Schatten wohnen können. (Markus 4,32)
Damit platzten alle mächtigen Träume vom Himmelreich und alle menschlichen Phantasien von Gottes Herrschaft. Sie ist eben nicht die Verlängerung menschlicher Macht. Sie erhöht nicht noch einmal das, was wir als politische Macht eingerichtet haben. Sie ist ganz anders. Das Bild vom Senfkorn kontrastiert das alles. Denn noch ist Gottes Herrschaft verborgen, unscheinbar und mit bloßem Auge leicht zu übersehen. Irgendwann aber wird dieses Reich Gottes groß und gut sichtbar sein. Das wird nicht in einem abgeschiedenen Thronsaal stattfinden oder in einer Machtprozession, auch nicht in einem Gerichtssaal. Sondern wie in einem Garten, in dem eine Pflanze wächst, nützlich und schön ist sie. Sie bietet Nahrung, Schutz und Heimat, sodass sogar die Vögel dort Schatten finden. Im Reich Gottes geht es nicht um Macht, sondern um Lebensmöglichkeiten für alle in Gottes Schöpfung. Durch eine gewöhnliche Senfpflanze kann man Gottes Plan mit dieser Welt erkennen.
Es grüßt Sie aus Ochtrup Pfarrer Albrecht Philipps.
Angeregt zur Auslegung dieser Bibelstelle wurde der Autor von: Isabel Hartmann/Reiner Knieling, Gemeinde neu denken. Geistliche Orientierung in wachsender Kompexität, Gütersloh 2014, S. 74f.