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Bereitschaft

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Sonntagskirche | 07.08.2016 | 08:55 Uhr

Bereitschaft

Ich weiß noch, wie mein Vater sonntags oft Bereitschaftsdienste schob in einer Samtfabrik am Niederrhein. Er war dort für die Klimatechnik und die Energieversorgung zuständig. Regelmäßig an Sonn- und Feiertagen. Manchmal nahm Vater mich mit zu den Kontrollgängen durch die endlosen Hallen. Wie ein Hilfssheriff stolzierte ich dann mit durch die Riesenhallen, fühlte mich hochwichtig. Wir beide ganz alleine mit einem riesigen Schlüsselbund und einer Akku-Lampe bewaffnet. Das war was Besonderes. Aber auch irgendwie gespenstisch: Absolute Ruhe, wo sonst gut tausend Menschen arbeiteten und hunderte Samtwebstühle einen Riesenlärm verursachten. Hier und da zirpte ein Heimchen, ab und zu ein Tropfgeräusch – und sonst Ruhe. Alles war heruntergefahren – Sonntag eben. Industrieidylle pur.

Aber mal ehrlich: Für meinen Vater und die Familie konnten diese Bereitschaftsdienste auch ganz schön lästig sein, dann nämlich, wenn etwas nicht mehr so lief, wie es sollte, oder fremde Monteure an Maschinen arbeiteten, die nur im Stillstand repariert werden konnten. Da gingen dann auch schon einmal einige Stunden ins Land und der Sonntag war gegessen. Zähe Sonntage müssen das gewesen sein, in denen oft nur die Zeit verrann.

Daher will ich gar nicht romantisieren: Bereitschaft ist oft etwas Lästiges, etwas Langweiliges und auf Dauer oft auch Belastendes.

Etwa Bereitschaftsdienste im Gesundheitswesen. Fragen Sie mal das Pflegepersonal im Krankenhaus! Oder: Was wurden da nicht schon für Auseinandersetzungen über die gerechte Entlohnung etwa ärztlicher Bereitschaftsdienste geführt? Das Problem: Man muss, auch nach einer längeren Ruhephase, auf den Punkt 100 Prozent Leistung bringen. Das ist ganz schön anspruchsvoll. Und doch tun sich Kostenträger schwer, das auch entsprechend zu entlohnen.

Leistung auf Punkt – von jetzt auf gleich, bei anhaltender Bereitschaft: Das fordert. Gerade an einem Sonntag. Gerade jetzt, in den Sommerferien.

Insofern ist es schon allerhand, dass ausgerechnet heute in den katholischen Gottesdiensten ein Satz von Jesus vorgelesen wird, in dem er von den Gläubigen quasi rundum-Bereitschaftsdienst fordert: „Haltet auch ihr euch bereit!“

Und ich musste bei den Jesus-Worten an Manuel Neuer denken: Wie oft hatte der bei der EM in seinem Tor lange Zeit wenig bis gar nichts zu tun. Wenn der deutsche Sturm dominiert? Was willst Du hinten machen als Torwart… Bereitschaft schieben.

Und dann kommt die eine, kritische Situation – und Neuer ist da und pflückt den Ball aus der Luft. Dafür hat der deutsche National-Torhüter auch international immer wieder höchste Bewunderung geerntet. Meine auch – denn ich arbeite eher gerne durch, als nur hier und da punktuell Höchstleistung bringen zu müssen.

Ein ganzes Leben auf Bereitschaft, das geht nicht. Ich bin kein Manuel Neuer und kann kontinuierlich diese Spannung halten. Der schafft das ja auch nur 90 Minuten auf dem Platz. Ich denke: Wenn Jesus sagt „Haltet auch ihr euch bereit“, dann geht es ihm um etwas anderes.

Wenn er uns an einem Sonntagmorgen nahelegt, uns bereit zu halten, dann meint er damit eine grundsätzliche Lebenshaltung, eine Art Folie, auf der alle Lebensvollzüge zu überprüfen sind. Es geht ihm um die Grundhaltung etwa der Barmherzigkeit – auch uns selbst gegenüber. Spielen wir das doch einfach einmal durch: Bin ich jetzt, am Sonntagmorgen, barmherzig mit mir selbst, wenn es um den Start in einen erholsamen Tag geht? Oder steht da schon wieder ein Druck im Hintergrund, dies und das und jenes erledigen zu müssen – an diesem freien Tag?

Bereitschaft kann auch richtig befreiend sein – wenn sie etwa entsprechend entlohnt wird. In der Arbeitswelt führen wir diese unselige Diskussion immer noch viel zu häufig. Gott macht uns ein Angebot weit über den Mindestlohn hinaus. Das erfahre ich bei genauerem Hinsehen und –hören immer wieder in meinem Leben. Etwa gerade, beim tiefen Durchatmen mit einer guten Tasse Kaffee in der Hand.

Ich wünsche Ihnen einen befreienden, erholsamen Bereitschafts-Sonntag, Ihr Pfarrer Ulrich Clancett aus Jüchen.?

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