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Kirche in WDR 4 | 16.01.2017 | 08:55 Uhr
Ein ganzes halbes Jahr
Guten Morgen.
Ein paar Monate Liebe können über ein ganzes Leben entscheiden. Wie bei Louisa und Will. Der erfolgreiche und lebenslustige Will aus gutem Hause ist seit einem Motorradunfall gelähmt bis zum Hals. Nach langen Aufenthalten in Kliniken nehmen seine Eltern ihn wieder bei sich auf. Seine Freundin hat ihn verlassen, er kann seine Schmerzen kaum aushalten. Und am Schlimmsten ist: Alles, was seinem Leben seither Sinn gegeben hat, kann er nicht mehr machen.
Seinen Beruf als erfolgreicher Makler kann er nicht mehr ausüben. Reisen geht nicht mehr, Sport, Sex, alles, was einem einen Kick geben kann, von jetzt auf gleich vorbei. Das ist nicht das Leben, das er sich vorgestellt hat. Er eröffnet seinen Eltern: „Ich bitte in der Schweiz um Sterbehilfe.“ Seine Mutter ringt ihm ein halbes Jahr ab. Ein ganzes halbes Jahr, in dem sie ihn zum Weiterleben überreden möchte. Er wird depressiv, sitzt teilnahmslos da und organisiert dezent seine Reise in die Schweiz. Niemand kommt an ihn heran. Die Zeit läuft davon. Da kommt Louisa als Pflegerin ins Haus.
Sie kommt aus einer einfachen Arbeiterfamilie und hat keine pflegerische Ausbildung. Ihre einzige Aufgabe ist, Will zum Weiterleben zu bewegen. Der stellt sich stur. Als Louisa erfährt, was passiert, wenn es ihr nicht gelingt, ihn aus seiner Depression herauszuholen, organisiert sie eine Unternehmung nach der anderen. Sie gehen zur Pferderennbahn, besuchen die Oper, ja, sie schafft es sogar, dass sie gemeinsam verreisen. Erst als Will spürt, dass er das alles nicht für sich tut, sondern dass er Louisa damit neue Welten eröffnet, findet er Gefallen daran.
Louisa ist fasziniert von allem, was sie mit ihm erlebt. Und so verschieden sie sind, sie verlieben sich ineinander. Ihr zuliebe lässt sich Will auf die Unternehmungen ein. Auch wenn er sich damit übernimmt, immer wieder im Krankenhaus landet und unendlich unter seinen Schmerzen leidet. Sie verbringen eine intensive und für beide wunderbare Zeit miteinander. Dennoch meint Louisa, vollkommen versagt zu haben. Denn Will lässt sich nicht umstimmen. Der Termin in der Schweiz steht und seine Eltern und Louisa sollen ihn begleiten. Louisa ist bei ihm bis er das tödliche Mittel nimmt.
Diese Geschichte von Louisa und Will hat die Schriftstellerin Jojo Moyes geschrieben. Sie zeigt, was Liebe bewirken kann, auch wenn am Ende alles anders ausgeht, als man es sich wünscht.
Will konnte spüren, dass er noch zu etwas gut war. Die Liebe hatte ihm Kraft für eine weitere Spanne Erdenzeit gegeben. Ohne seinen Unfall hätten sich die beiden nie kennengelernt. Und er konnte mit seiner Liebe nun für Louisas Zukunft Entscheidendes bewirken. Und in der Tat haben sich für Louisa ungeahnte Zukunftsmöglichkeiten ergeben.
Aber das ist eine andere Geschichte. Dennoch kann Will so nicht mehr weiterleben. Manchmal können Menschen das Leben nicht mehr aushalten, auch wenn alles Erdenkliche für sie getan wird, auch wenn sie noch so sehr lieben und geliebt werden. Wenn das Ende in dieser Geschichte auch anders ist, als wir es uns wünschen würden. Jojo Moyes mutet uns diese Realität in ihrem Roman zu und schenkt uns zugleich die Geschichte einer starken Liebe, die etwas bewegt. In beiden. Liebe ist eine Geistesgabe Gottes heißt es in der Bibel. Wie der Glaube und die Hoffnung. Aber die Liebe ist die größte.
Ihre Barbara Schwahn, Pfarrerin in Düsseldorf .
(1)Jojo Moyes, Ein ganzes halbes Jahr, Rowohlt-Verlag, Hamburg 2012