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Kirche in WDR 4 | 27.03.2017 | 08:55 Uhr
Nicht einschüchtern lassen
Autor: „Hier ist kein Platz für Rassismus“. Unübersehbar hängt das Schild am Eingang des Gemeindebüros der Evangelischen Kirche in Aldenhoven bei Aachen. Seit vielen Jahren engagieren sich die Gemeinde und ihr Pfarrer Charles Cervigne für Geflüchtete und Migranten. Das hat ihnen nicht nur Unterstützung und Freunde, sondern auch Anfeindungen und Hass eingebracht, vor allem aus der rechten Szene.
O-Ton Cervigne: So sind dann Jahre vorher schon Dinge passiert, wie, dass uns die Kirchenfenster eingeworfen wurden mit Steinen und dann halt `nem entsprechenden Zettel, so nach dem Motto: liebe Grüße! Oder dass unsre Kirchenwand beschmiert wurde: „nationale Front, wir vergessen euch nie“.
Autor: Was dann aber vor gut einem Jahr passiert ist, damit hatte keiner gerechnet, auch der streitbare Pfarrer selber nicht.
O-Ton Cervigne: Abends gegen 23 Uhr saß ich also in meinem Arbeitszimmer. Es klingelt und ich denke - das war mein erster Gedanke - mein ältester Sohn hat mal wieder den Schlüssel vergessen. Hab deswegen auch kein Außenlicht angemacht, bin aus dem Hellen ins Dunkle rein, ja, und dann ging das ganz schnell, Tür auf, stockähnlicher Gegenstand runter über den Kopf, so quer rüber übers Gesicht, danach direkt Pfefferspray, das Blut strömte. Ich hab dann nur noch reagiert, wahrscheinlich auch gut reagiert, denn im Fallen konnte ich die Tür zustoßen mit den Füßen…
Autor: Der Täter flüchtet. Pfarrer Cervigne kommt ins Krankenhaus. Und hat Glück im Unglück. Bereits am nächsten Morgen verlässt er auf eigenen Wunsch die Klinik. Um pünktlich mit der Gemeinde den Sonntagsgottesdienst zu feiern.
O-Ton Cervigne: Demokratie braucht Menschen, die Flagge zeigen und nicht Mitläufer.
Autor: Viele schicken dem mutigen Pfarrer Solidaritätsgrüße und danken ihm für seine Standhaftigkeit. Jedenfalls hat der Angreifer sein Ziel nicht erreicht, den Pfarrer und die Helfer der Geflüchteten zu verunsichern.
O-Ton Cervigne: Hier im Ort, hier in Aldenhoven haben auf einmal ganz viele Leute sich positioniert, die vorher eher geschwiegen haben und die gesagt haben, so jetzt ist der Rubikon überschritten, jetzt müssen auch wir Farbe bekennen, und das war ein spürbarer Ruck auch hier.
Autor: Position beziehen gegen Rassismus ist für den Kirchenmann und Familienvater von fünf Kindern nicht nur eine gesellschaftliche Aufgabe, sondern Christenpflicht.
O-Ton Cervigne: Wenn ich wirklich daran glaube, und daran glaube ich fest, dass wir Geschöpfe Gottes sind und dass wir alle so gewollt sind, wie wir sind - in all der Vielfalt (...),dann habe ich als Christ den Auftrag, für diese Vielfalt Sorge zu tragen. Und da, wo ich Tendenzen sehe, dass Menschen systematisch ausgeschlossen werden, vernachlässigt werden, benachteiligt werden, (….) hab ich die Aufgabe und auch die Lust und die Freude, mich dann hinzustellen und zu sagen: Okay, ich hab so’n bisschen Kraft, ich hab’n bisschen Einfluss, auch viele Leute um mich herum, dann setzen wir uns mal für diese Leute ein.
Autor: Ernsthaft Angst um sein Leben oder seine Familie musste Charles Cervigne nach dem Überfall – anders als andere - nicht haben. Nach übereinstimmender Einschätzung der Polizei und des Staatsschutzes wollte der Täter offenbar dem Pfarrer einen Denkzettel verpassen.
O-Ton Cervigne: Nein, da müssen wir’n klaren Kopf bewahren und zwar’n klaren Kopf aus der Liebe heraus zu den Leuten, für die wir letztendlich leben und mit denen wir leben, und dazu gehören alle, auch der Täter.
Autor: Der bis heute nicht identifiziert wurde. Charlie, wie seine Freunde Pfarrer Cervigne nennen, wartet immer noch darauf, dass dieser auftaucht und sich bei ihm entschuldigt. Gesprächsbereit ist er. Und Gott dankbar, dass er ihm zur Seite steht.