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Sonntagskirche | 28.05.2017 | 08:55 Uhr
Como - der See und das Mehr
Guten Morgen!
Plötzlich ist alles anders. Eben noch prägte die platte Po-Ebene die Landschaft, auf einmal ragen die Tausender Alpen auf, breitet sich der Comer See 50 Kilometer lang und bis zu fünf Kilometer breit aus. Auch das ist die Lombardei.
Herzlich willkommen zur vierten und letzten Etappe meiner „Ohrenreise“ durch die nördlichste Region Italiens, einer zu Unrecht kaum entdeckten Gegend voller Kultur, Glaubensgeschichte und kirchlicher Baukunst.
Nur 45 Kilometer von Mailand entfernt gibt sich Como am Südufer des Sees sichtlich Mühe, ein wenig mit dem Chic der Mode-Metropole mitzuhalten. Aber Comos Glitzer- und Glamour-Zeiten scheinen der Vergangenheit anzugehören. Ein echtes Juwel aber versteckt Como weit ab von Uferpromenade und Fußgängerzone. Der Weg dorthin führt ein Stück den Hang hinauf und an Industrieanlagen vorbei. Der Reiz, sich dorthin aufzumachen, hält sich also in Grenzen. Der Vorteil: Endlich Ruhe!
Der Genuss hat einen Namen: Sant’ Abbondio, benannt nach dem dritten Bischof von Como und 1095 als Kirche eines Benediktinerklosters geweiht. Heute gehört sie zu den bedeutendsten Sakralbauten lomardischer Romanik. Schier überwältigend ist die Apsis, die über und über und von unten bis oben ausgemalt sofort in ihren Bann zieht. Die Szenen aus dem Leben Jesu sowie von Petrus und Paulus sind zwar knapp 100 Jahre jünger als die berühmten Fresken von Giotto in Assisi in Umbrien in Mittelitalien. Aber die Wandmalereien von Sant’ Abbondio hier in Como werden einem Meister aus Siena zugeschrieben, der den Pinselstrich von Giotto und seinen Schülern in den Norden Italiens brachte.
Ein anderes, ein Mini-Juwel lombardischer Romanik versteckt sich in dem unspekatkulären Städtchen Cantú, rund zwölf Kilometer vor Como. Mitten in einer Wohnsiedlung namens Galliano erhebt sich ein grüner Hügel, und obendrauf steht die kleine Basilika San Vincenzo.
Keiner der gängige Reiseführer weist auf diesen grandiosen, über 1000 Jahre alten Bau und das benachbarte Baptisterium hin. Der Zustand ist nicht der allerbeste, dennoch überwältigt der Blick auf den schlichten, erhöhten Altarraum und vor allem auf die Fresken aus der Gründerzeit des Baus. Und nicht zuletzt der Abstieg in die wunderschöne Krypta lässt unwillkürlich fragen, wie San Vincenzo so lange unentdeckt bleiben konnte. So schlicht der kleine, halbrunde Raum auch ist: Mit den Freskenresten einiger Heiliger betritt man einen Raum geradezu intimer Glaubenserfahrung durch die Jahrhunderte.
Wer eine Fahrt über den Comer See mit einem besonderen spirituellen Erlebnis verbinden will, der gönnt sich die dreistündige Schiffstour nach Piona. Dort versteckt sich nämlich San Nicolò, ein kleines Zisterzienserkloster, hinter hohen Zypressen und umgeben von Olivenbäumen unterhalb des Monte Legnone, des höchsten Berges am Comer See. Das romanische Kirchlein entstand vor 750 Jahren, ebenso die Fresken und der herrliche Kreuzgang. Die Stille ringsum entschädigt definitiv für die langwierige Anfahrt.
Und so bleibt auch der Comer See wie Mailand und die ganze Lombardei eine Auster. Wem sie sich öffnet, der entdeckt - womöglich unerwartet - einen wahren Schatz.
Ich wünsche Ihnen Wachheit für Gottes Spuren an diesem Sonntag! Aus Münster verabschiedet sich Markus Nolte.