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Kirche in WDR 4 | 21.06.2017 | 08:55 Uhr

Mein Wunderkind ist tiefbegabt

Guten Morgen.

Mein Wunderkind ist tiefbegabt.

Man redet immer von den Kindern, die das Licht der Welt erblicken. Aber mal ehrlich, erblicken wir nicht das Licht der Welt, wenn wir ein Kind sehen, das geboren wird? Das Blöde an Wundern ist: Sie sind so unzuverlässig. Oft bräuchte man eines, und passiert keines. Dafür passieren Dinge, die keiner will. Das Leben bleibt bis zu einem gewissen Maße unvorhersehbar und außerhalb unserer Kontrolle.

Für unseren Verstand ist das immer eine Beleidigung. Das Wunder des Lebens beginnt ja nicht erst mit dem ersten Atemzug, sondern mit der Zeugung. Und wie ein Kind im Mutterleib entsteht, ist so komplex, dass man sich eigentlich viel mehr darüber wundern müsste, dass es so oft spontan klappt. In einem Klassiker des jüdischen Humors wird die Mutter gefragt, wie alt ihre Kinder sind. Sie antwortet: „Der Jurist wird jetzt drei, und der Arzt kommt nächstes Jahr in die Schule.“

Liebe Eltern, ihr müsst jetzt sehr tapfer sein: Nicht alle Kinder werden hochbegabt. In unser Perfektionskultur und unserem Fitnesswahn geht eine wichtige Tatsache unter: Eines von zehn Kindern ist chronisch krank, hat Asthma, Epilepsie, Rheuma, Mukoviszidose, ist minderbegabt oder geistig behindert, ohne dass die Ärzte immer wüssten, woran das liegt. Ich habe als Arzt viele tolle Kinder erlebt, die auf andere Art und Weise toll waren.

Viele von ihnen hatten einfach nur Pech, kein Sechser bei der Verlosung der Gene, bei der Geburt ein paar Minuten zu wenig Sauerstoff, schwierige oder suchtkranke Eltern. Gegen die allermeisten dieser Abweichungen gibt es keine Tablette und kein Wundermittel. Gleichzeitig ist der Bereich mit den größten wissenschaftlich belegten Fortschritten nicht etwa die Gentherapie oder Molekulargenetik, sondern, halten Sie sich fest, die Sonderpädagogik. Dass heute viele Kinder mit Down-Syndrom ihre Schulabschlüsse machen, Berufe lernen und älter werden, war vor einer Generation undenkbar.

Aber wer investiert in Leben, das keine Rendite bringt? Versuchen Sie mal, Spenden für Kinder mit Epilepsie zu sammeln. Gespendet werden Millionen für Krebskranke, dabei sind es gar nicht so viele, und sie können wieder ganz gesund werden. Aber viele Krankheiten gehen nicht weg. Und deshalb haben meinen größten Respekt nicht die Wunderkinder, sondern die Wunderfamilien, die das Beste aus dem machen, was eben auch das Leben an Unerfreulichem und Schrecklichem mit sich bringt.

Auf der Kinderstation hatten wir damals einen vierjährigen Jungen, der in den Gummistiefeln seines Großvaters die Kellertreppe heruntergefallen war und sich sein Hirn schwer verletzt hatte. Ich erinnere mich wie heute an den Moment, in dem ich den Eltern die MRT-Bilder zeigen musste. Die Eltern waren beide Ärzte und wussten, was die großen weißen Flecken bedeuteten. Jonas blieb lange auf Station. Dann wurde er verlegt und ich verließ die Medizin. Immer wieder dachte ich an diese Situation. Vor drei Jahren wollte ich schließlich erfahren, wie die Geschichte weitergegangen ist.

Der Name der Familie hatte sich in mein Gedächtnis eingebrannt. Ich fand die Adresse heraus, schrieb einen Brief und bekam eine sehr herzliche Antwort. Wir trafen uns. Der Sohn lebt. Es ist nie aus dem Koma erwacht, aber er hat jeden Tag eine Familie um sich, ihn liebt. Die Eltern sind noch zusammen, was bei chronisch kranken Kindern alles andere als selbstverständlich ist. Oft bleiben die Mütter alleine. Jonas ist inzwischen ein junger Mann wie sein Bruder.

Wunderkinder müssen nicht alle Klavier spielen. Die ganze Familie hat mich tief beeindruckt mit ihrer Liebe, Hingabe und Annahme und dem Weitermachen, ganz anders, als man sich das mal vorgestellt hatte. Heilung kann auch heißen zu akzeptieren, dass nicht alle heil sind, aber dazugehören.

In diesem Sinne einen inklusiven Tag, Ihr Eckart von Hirschhausen aus Köln.

Literatur: Dr. med. Eckart von Hirschhausen: Wunder wirken Wunder: Wie Medizin und Magie uns heilen, Hamburg: Rowohlt, 2016.

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