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Kirche in WDR 4 | 06.01.2018 | 08:55 Uhr
Sehnsucht
„Funkel, funkel, kleiner Stern, ach wie bist du mir so fern, wunderschön und unbekannt, wie ein strahlend Diamant.“ (1)
Sterne funkeln und glitzern. Verzaubern mich. Bei jeder Sternschnuppe, die ich sehe, wünsche ich mir etwas. Ende Dezember bis Anfang Januar regnet es besonders viele Sternschnuppen. In den beleuchteten Städten kann ich sie nicht so gut sehen wie auf freiem Feld. Und so ist für mich als Städterin die Sternschnuppenausbeute gering. Und viele Wünsche bleiben ungewünscht. Sterne als Hoffnungszeichen, Zeichen meiner Sehnsucht – sie ziehen nicht nur mich magisch an. Sie zogen auch drei Magier, drei weise Männer an. Kaspar, Melchior und Balthasar. Vor allem ein Stern war es, dem sie folgten. Der Stern von Bethlehem. Und der führte sie zum neugeborenen Christuskind. Das wird später Morgenstern genannt. Denn wie ein Morgenstern wird es Licht in die unheile Welt bringen. Eine Welt voller Sehnsucht. Damals und heute.
Gerade jetzt, am Anfang des neuen Jahres kriechen die Sehnsüchte ja förmlich aus den Winkeln der Seele und wischen sich den Staub vom letzten Jahr aus den Augen.
Der Philosoph Ernst Bloch sagte einmal, die Sehnsucht sei die ehrlichste Eigenschaft des Menschen. (2) Das ist auch meine Erfahrung: Die Sehnsucht treibt mich an, mich nicht mit dem Alltäglichen abzufinden. Sie treibt mich an, mit mehr zu rechnen, als ich selbst bin und sein kann. Nach dem Motto von Leonardo da Vinci: „Binde deinen Karren an einen Stern.“ (3)
Das Schwere des Erdenlebens, den Karren voll Dreck und Schmutz, den ich mit mir herumschleppe, an einen Stern binden. Ja. Mich ausstrecken nach dem oder der da oben.
„Binde deinen Karren an einen Stern“. Vor mehr als 2000 Jahren hatten die Menschen Sehnsucht nach Befreiung. Der Karren steckte ziemlich im Dreck. Die Last war schwer. Die Leute wünschten sich einen König, der Frieden bringt, der Fremdherrschaft beendet. Der den Karren aus dem Dreck zieht. Ein Stern zeigte ihnen, dass die Geburt dieses Königs stattgefunden hat. Aber nur wenige erkannten das Zeichen. Der Retter kam anders als erwartet. Es kam nicht der strahlende König vom Himmel, der die Mächtigen vertrieb und alle Feinde niedermähte. Gott wuchs in Maria heran, einer unbedeutenden jungen Frau. Und gefunden wurde der Messias nur dadurch, dass manche auf den Stern achtgaben, der am Himmel den Weg zu dem künftigen Retter wies. Klein, zart, sanftmütig.
Der Weg zur Erfüllung der Sehnsucht – er ist verknüpft mit unerwarteten Ereignissen. Die Beziehung von Maria und Joseph wird auf eine schwere Probe gestellt. Nach der Geburt müssen sie schon wieder fliehen mit dem Kind. Der Weg der Weisen, dem Stern nach zum Christuskind in der Krippe, ist lang. Manchmal ist der Weg der Sehnsucht eine Reise durch ein dunkles Dickicht – nur der Stern erhellt den Weg. Ob sich die Mühe lohnt, man weiß es nicht vorher.
Die drei Weisen, von manchen auch die Heiligen Drei Könige genannt, sie waren mit dem Stern am Ziel ihrer Reise angekommen. Und dann? Der Schriftsteller
Adolf Muschg stellt sich das so vor:
„Als die drei Könige, von ihren Gaben entlastet, wieder aus dem Stall traten, hielt Kaspar erschrocken inne.
Der Stern, sagte er.
Was ist mit ihm? fragte Melchior.
Er ist weitergezogen! sagte Kaspar.
Hast du jemals einen Stern stillstehen sehen? fragte Balthasar“. (Adolf Muschg) (4)
Der Stern ist weitergezogen. Und ward nicht mehr gesehen. Denn ein neuer Stern ist aufgegangen, der ewig leuchtet. Christus – taucht die Welt in ein neues Licht. Leuchtet in die Herzen. Wärmt die Frierenden. Viele haben ihn leuchten gesehen und sind ihm gefolgt. Und haben davon erzählt. Christus der Morgenstern - er leuchtet in anderen und in mir selbst. Sei uns willkommen, schöner Stern.
Einen gesegneten Heilige-Drei-Königs-Tag wünscht Ihnen Petra Schulze, Rundfunkpfarrerin in Düsseldorf.
Quellenangaben:
( 1 ) Volkslied. Deutsche Adaption des englischen Wiegenliedes "Twinkle, Twinkle, Little Star", ursprünglich ein Gedicht ("Star") von Jane Taylor, erschienen 1806 in "Rhymes for the Nursery" von Jane und Ann Taylor. Zitiert nach https://www.aphorismen.de/gedicht/61237 (abgerufen am 14.12.2017).
( 2 ) Zitiert nach: Anselm Grün: Das kleine Buch der Sehnsucht, III. Im Innersten berührt: Die ehrlichste Eigenschaft, Verlag Herder; Auflage: 1 (8. Dezember 2009). ISBN-13: 978-3451071041.
( 3 ) https://www.aphorismen.de/zitat/23283 (abgerufen am 14.12.2017)
( 4 ) „Der Stern zieht weiter
Zum Schluss noch eine Weihnachtsgeschichte: Fürchtet euch nicht, sie ist ganz kurz. Sie soll euch aber eine grosse Freude verkünden; die Freude, dass wir uns heute Nacht noch zusammensetzen mit Brüdern, die wissen, was es heisst, keinen menschlichen Vater zu haben, in einem Stall geboren zu sein, für die das Wort Krippe einen genauen Sinn hat, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, die hier mehr suchen als ein bisschen Ruhe auf der Flucht. Sie suchen keine Gnade, sie erwarten mehr als Glaube, Liebe und Hoffnung, sie suchen Menschen: uns. Und das ist meine letzte Geschichte:
Als die drei Könige, von ihren Gaben entlastet, wieder aus dem Stall traten, hielt Kaspar erschrocken inne.
Der Stern, sagte er. Was ist mit ihm?, fragte Melchior. Er ist weitergezogen!, sagte Kaspar.
Hast du jemals einen Stern stillstehen sehen?, fragte Balthasar.“
Adolf Muschg“ aus: Adolf Muschg: Geischtenweihnacht, Eine Predigt in Warten auf ihn, hg. von Wolfgang Erk, Stuttgart 1981, S. 7-13.