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Kirche in WDR 4 | 22.04.2019 | 08:55 Uhr
Erzählen
Frohe
Ostern!
Wissen
Sie, welche Erfahrungen zu den kostbarsten meines Lebens gehören? Es sind die Momente,
in denen Menschen mir aus ihrem Leben erzählen. Von der Liebe und vom Krieg, wie
mutig sie waren und wie feige, was sie begeistert hat oder enttäuscht. Wie
jämmerlich manchmal die Zweifel nagten – und wie unerwartet auf einmal der
Glaube getragen hat.
Ich
hatte eine Großmutter, der ich stundenlang beim Erzählen zuhören konnte. Und
später, als Pastorin in der Gemeinde, war ich oft tief berührt, wenn mir jemand
sein Herz öffnete und sein Leben zur Sprache brachte – mit allem, was darin
war.
Zwei,
die einander ihr Herz öffnen und erzählen, begegnen mir jedes Jahr in einer Ostergeschichte
der Bibel. Es sind zwei Jünger Jesu, unterwegs von Jerusalem nach Emmaus; vom
Ort der Kreuzigung Jesu zurück in ihren Alltag. „Und sie redeten miteinander von all diesen
Geschichten“, berichtet der Evangelist Lukas. Man ahnt, wie wichtig das
Erzählen für die Beiden ist – nach all dem, was sie erlebt haben. Sie waren
begeistert gewesen von Jesus, hatten alles stehen und liegen gelassen, um bei
ihm zu sein, alle Hoffnung auf ihn gesetzt. Und jetzt? Aufgewühlt und
enttäuscht bereden sie das Erlebte. Ob sie einander auch ihre Angst gestehen
können – und ihre Wut?
Und
während sie so unterwegs sind und miteinander reden, geht Jesus, der
Auferstandene, neben ihnen her – ohne dass sie´s merken.
Er,
den sie tot glauben, ist da, ganz nah bei ihnen.
Wie
oft wurde mir diese wunderbare Ostergeschichte erzählt! Manche Menschen habe
ich noch genau vor Augen, manche Stimmen im Ohr, manche Situationen im Kopf,
die sich mit dieser Geschichte verbinden.
Alle
Geschichten von Gott sind durchs Erzählen unter die Menschen gekommen. Durch
Erzählen bleibt der Glaube lebendig von Generation zu Generation. Durch
Erzählen bleibt die Hoffnung wach.
Zum
Erzählen braucht es Worte. Manchmal verbergen sich in einem einzigen Wort
unzählige Geschichten. Die Bibel ist voll solcher Worte. „Demut“ zum Beispiel
und „fromm“. „Barmherzigkeit“ zum Beispiel und „Versöhnung“ und „Segen“.
Große
Worte sind das. Sie passen nicht in das gängige Alltagsgeplauder. Sie sperren
sich gegen belangloses Geschwätz. Sie sind fremd und wollen fremd bleiben.
Darin liegt ihre Kraft.
Sie
eignen sich nicht für die knappe Sprache von Kurznachrichten per SMS oder
WhatsApp. Gerade deshalb möchte ich nicht auf sie verzichten.
Sie
lassen stutzen, stören das Eilige und Oberflächliche, wollen nicht selbstverständlich
begriffen werden. Das macht sie unbequem. Und kostbar.
Große
Worte wie „Demut“ und „fromm“, wie „Barmherzigkeit“ und „Versöhnung“ und
„Segen“ locken zum Fragen, sie machen gespannt aufs Erzählen – und neugierig
auf das Geheimnis des Glaubens.
In
dieser Woche nach Ostern begebe ich mich auf die Spur einiger solcher Worte und
lasse sie erzählen.
Vielleicht
haben Sie Lust, sich einzuschalten.
Einen
gesegneten Ostertag wünscht Ihnen aus Bielefeld
Ihre
Annette
Kurschus, Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen.