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Kirche in WDR 4 | 23.04.2019 | 08:55 Uhr
Vom fromm sein
Guten Morgen!
Manche
Annoncen in der Zeitung fallen auf. Zum Beispiel diese: „Pferd zu verkaufen.
Fromm."
Ich
stutze – und mache mich schlau. Fromm, so lerne ich, wird ein Pferd nicht
genannt, weil es gläubig ist oder gar zur Kirche geht. Ein „frommes“ Pferd ist folgsam, keilt nicht aus, beißt auch
nicht. Wer ein „frommes“ Pferd reitet oder es vor seinen Wagen spannt,
macht es sich mühelos gefügig.
Genau
dieses Bild haben viele von frommen Menschen: Brav, gehorsam, treuherzig. Ein
wenig naiv wohl auch. Als „fromm“ lässt man sich in der Regel nicht gern bezeichnen.
Und wenn jemand von sich selbst sagt: „Ich bin fromm“, dann fügt er oft
vorsichtshalber im selben Atemzug hinzu: „Und politisch!“
„Fromm“
steht offenbar im Verdacht, weltfremd zu sein, irgendwie von gestern, ohne
profilierten eigenen Willen.
In
der Bibel lese ich, wie Gott zu Abraham sagt: „Ich bin der allmächtige Gott; wandle vor mir und sei fromm.“ (1.
Mose 17,1) Das
hebräische Wort, das Martin Luther da mit „fromm“ übersetzt hat, heißt nichts
anderes als „ganz“, „vollständig“. Frommsein ist aus biblischer Sicht etwas
sehr Schlichtes. Es bedeutet: Ganz da sein vor Gott. Mit allem, was mich
ausmacht. Nicht nur zu bestimmten feierlichen Stunden, nicht nur im stillen
Kämmerlein. Nein, ganz. So, wie ich bin.
Das
Urbild einer frommen Frau war für mich Tante Lieschen.
Zu
Kinderzeiten war sie eine Art dritte Oma für meine Brüder und mich. Sie war
klug – und warmherzig. Gütig – und hellwach. Sie schmierte die besten
Schmalzbrote, die ich kenne. Und sie führte mit akribischer Genauigkeit die
Kirchenbücher im Gemeindebüro. Aus dem ganzen Dorf kamen die Leute zu ihr. Wenn
sie Probleme hatten. Wenn sie handfesten Rat suchten. Wenn sie jemanden zum
Zuhören brauchten. Oder jemanden, der für sie betet. Wenn niemand Zeit hatte –
Tante Lieschen war da. Sie konnte dem Familienvater von nebenan, der meistens
betrunkenen war, sehr streng die Leviten lesen. Und als jemand über die nahe
Grenze aus der damaligen DDR geflüchtet war und im Dorf Unterschlupf suchte,
nahm sie ihn bei sich auf.
„Befiehl
dem HERRN deine Wege und hoffe auf ihn,
er wird´s wohlmachen“ (Psalm 37,5): Diesen Psalmvers hatte Tante Lieschen über
ihrer Küchenbank hängen. Es war ihr Konfirmationsspruch.
Genau müsste man übersetzen:
„Wälze
deine Wege auf Gott. Er wirtd´s tun.“
Alles, was in dir ist: Deine Freude und deine Lust am Leben,
deine Angst und deine Wut, deine vielen Fragen - wälze das alles auf Gott.
Er nimmt es ernst, er nimmt es wichtig - weil du ihm wichtig
bist.
Deine Sache macht er zu seinem Herzensanliegen.
Er bleibt am Werk und bringt es zum Ziel.
Manchmal mit deiner Hilfe. Manchmal auch trotz dessen, was
du verdirbst.
Seine Kraft macht dich stark.
Darauf vertrauen und in diesem Sinne fromm zu werden: Das
wünsche ich mir.
Und Ihnen auch.
Mit herzlichen Grüßen aus Bielefeld,
Ihre
Annette Kurschus, Präses der Evangelischen Kirche von
Westfalen.