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Kirche in WDR 4 | 25.04.2019 | 08:55 Uhr
Versöhnung
Guten
Morgen!
„Versöhnung!“:
Ich habe noch im Ohr, wie mein Vater das jedes Mal ausrief nach einem Streit –
und die Hand ausstreckte. Er wartete, bis ich einschlug. Manchmal wartete er
lange. „Versöhnung“: Damit verbinde ich ein befreiendes Gefühl. Es wird
leichter ums Herz. Was uns im Streit auseinandergebracht hat, ist nicht einfach
weg. Aber es tritt zurück. Wir gehen aufeinander zu. Auch wenn manches laute
Wort noch nachhallen mag; auch wenn Ärger und Kränkung noch zu spüren sind; ja,
sogar wenn hier und da eine Wunde bleiben wird: Ein neuer Anfang ist möglich.
„Versöhnung!“ Damit fängt jeder Friede an.
Im
Neuen Testament der Bibel bedeutet das Wort „Versöhnung“: Rollentausch.
„Gott war in Christus und
versöhnte die Welt mit sich selber.“ (2. Korinther 5,19)
In
Christus wurde Gott Mensch und hat Frieden gemacht mit der Menschheit, die bis
heute gegen ihn rebelliert. Und Christus bittet – bis heute:
„Lasst euch versöhnen mit
Gott!“ (2.
Korinther 5,20)
Es
ist noch gar nicht so lange her, dass die Völker Europas untereinander heillos
zerstritten waren. Hasserfüllte und verächtliche Feindbilder wurden gezeichnet,
vernichtende Feuer geschürt. Sie verwüsteten weite Teile Europas und brachten
millionenfachen Tod über die Menschen.
Aus
der blutigen Geschichte Europas zogen die Gründungsväter die Lehre: Wir
brauchen Versöhnung! Grenzen sollten Menschen nicht mehr trennen. Robert Schuman,
französischer Außenminister, in den 1940er Jahren selber von den Nazis
eingesperrt, rief 1950 aus: „Den Feinden
von gestern reichen wir die Hand, um uns zu versöhnen und um Europa
aufzubauen!“
Seither
gab es keinen Krieg mehr in der Mitte Europas. Das muss auch so bleiben.
Doch
gegenwärtig nehmen Abgrenzungen und Abschottungstendenzen wieder zu.
Schlagbäume
und Stacheldrahtzäune werden errichtet, Europa wird immer mehr zur Festung, und
allerorten gewinnt nationaler Egoismus an Boden.
Wie
hoffnungsvoll wäre es, wenn wir lernten, als versöhnte Menschen zu leben!
Versöhnte
Menschen müssen nicht dauernd den eigenen Status verteidigen.
Sie
erleben das Anderssein der Anderen nicht zuerst als Bedrohung. Vielleicht
entdecken sie sogar: Dass andere anders sind, das macht uns selber reich.
Augenzwinkernd
hat das einmal jemand so beschrieben: „Der Himmel ist dort, wo die Polizisten Briten sind, die Köche Franzosen,
die Mechaniker Deutsche, die Liebhaber Italiener und alles von den Schweizern
organisiert wird.“
Gott
hat uns in Christus zu versöhnten Leuten gemacht. Seine Hand bleibt
ausgestreckt, und sie will durch uns ausgestreckt bleiben für andere – damit
Friede möglich wird. Immer neu.
Da,
wo ich persönlich lebe und Einfluss habe. In unserem Land. In Europa. In
unserer Welt.
Herzlich
grüßt Sie aus Bielefeld
Ihre
Annette
Kurschus, Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen.