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Kirche in WDR 4 | 26.04.2019 | 08:55 Uhr
Demut
Ein alter Kollege hat einmal gesagt: „Demut ist der Mut, andere neben sich groß werden zu lassen.“ Ein faszinierender Mut. Und ein seltener. Die Angst, neben anderen zu kurz zu kommen, ist weitaus stärker verbreitet.
Menschen mit dem Mut, andere neben sich groß werden zu lassen – demütige Menschen eben – sind angenehm. In ihrer Gegenwart geht es anderen gut. In ihrer Gegenwart dürfen andere erfolgreich und stark sein.
Leider ist die Demut in Verruf geraten. Denn allzu oft kommt sie gebückt daher. Unterwürfig. Mit gekrümmten Rückgrat auf der Schleimspur kriechend. Aber das ist eine Verzerrung der Demut. Wer sich selbst demonstrativ klein macht, will oft insgeheim besonders groß sein. Immanuel Kant hat derart verkleidete Demut verächtlich „Kriechmut“ genannt.
Mancher Hochmut lässt sich leicht mit Demut verwechseln. In Bewerbungsgesprächen etwa. „Was ist Ihre größte Schwäche?“, wird da gern gefragt. Die häufigste, scheinbar demütige Antwort lautet: „Ich bin leider sehr ungeduldig.“ Eigentlich will der Kandidat damit sagen: Ich bin schnell; ich habe die Nase vorn; ich weiß, wo’s langgeht, und meistens sind mir die anderen zu langsam.“
Frauen wurde Jahrhunderte lang die Demutsrolle zugeschrieben. Sie sollten sich im Dienst für andere verzehren ohne aufzumucken. Demut wurde in Demütigung verkehrt. „Bleibt demütig“, riefen die Mächtigen den Frauen zu, als sie endlich dagegen aufbegehrten.
Heute demütigt der Hochmut Menschen, die anders glauben, anders aussehen, anders denken. Immer wieder findet er welche, auf deren Kosten er sich groß machen kann. Das funktioniert schon im Kindergarten – und im Seniorenwohnheim immer noch.
Ich
hatte eine Cellolehrerin, die selbst keine große Künstlerin auf ihrem
Instrument war. Zur glänzenden Solistin in Konzertsälen taugte sie nicht. Aber
als Lehrerin war sie grandios.
Sie
förderte ihre Schüler und Schülerinnen, wo sie nur konnte. Nur selten wurde sie
genannt, wenn jemand ihrer ehemaligen Schützlinge später groß rauskam. Und doch
freute sie sich von Herzen an deren Erfolgen.
Den
Mut, andere neben sich groß werden zu lassen, habe ich bei ihr erlebt wie
selten sonst.
„Gott
widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade“, lese ich in der
Bibel. (1. Petrus 5,5)
Biblisch
gesehen ist Demut die Haltung eines Menschen, der seine eigenen Grenzen als
Gottes Geschöpf annimmt. Ein demütiger Mensch weiß, dass er alles wirklich
Wichtige im Leben nicht selbst in der Hand hat, sondern Gott verdankt.
Und:
Er will nicht bewusst demütig sein. „Denn wahre Demut vergisst, dass sie
demütig ist“, hat Martin Luther einmal gesagt. Ist das nicht ein schönes
Vergessen? Selbstvergessen schön!
Herzlich
grüßt aus Bielefeld
Ihre
Annette
Kurschus, Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen.