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Kirche in WDR 4 | 08.05.2019 | 08:55 Uhr
Ohne Smartphone
Guten Morgen.
Jetzt hätte ich fast die Haltestelle verpasst. Schnell raffe ich meine Einkäufe zusammen und steige noch rasch aus der U-Bahn aus. Immer vergesse ich die Zeit, wenn ich mit meinem Smartphone in den sozialen Netzwerken unterwegs bin. Ich gehöre längst dazu. Zu den digitalen Junkies.
Hier ein sensationelles Unterwasser-Urlaubsfoto von einem alten Schulfreund, da eine Nachricht aus dem hintersten Winkel der Welt, dort ein Buchtipp oder ein Hinweis auf einen interessanten Zeitungsartikel. Hier eine witzige Karikatur und da ein berührendes Gebet.
Ich hänge an meinem Smartphone wie eine Geliebte an den Lippen ihres Liebsten. Es ist ja auch so spannend bei Facebook, Instagram und Co.: Die alte Studienfreundin - wie, die hat schon Enkel? Unglaublich. So niedlich. Also, das alles hätte ich ja ohne die sozialen Medien gar nicht erfahren! Währenddessen poppen Zahlen bei Instagram auf – meine Freunde stellen dort wieder neue Fotos ein. Von ihren Kochkünsten und Malkünsten, von ihren Gärten und neuen Kleidungsstücken. Und die Wetter-App warnt vor Sturmböen. Dazwischen poppen WhatsApp-Nachrichten von der Familie auf. Auch hier Fotos von Kindern und Enkeln, dem Urlaubsort, der tollen Geburtstagstorte, und dann der leckere Sauerbraten mit Rotkohl wie bei Oma. Den gibt’s im Restaurant in der Nachbarstadt – ein Geheimtipp. Können wir mal hingehen. Dann die Fragen: Wann hast du mal Zeit, was machen wir Ostern, was schenken wir Mutti zum Geburtstag, kennst du einen guten Elektriker, wer kann mir einen Tischgrill leihen. Jetzt reicht’s, denke ich, während ich mit den Einkaufstüten den Bürgersteig entlang trotte. Das Smartphone bleibt demnächst in der Handtasche. Oder besser gleich zu Hause.
Das ist eine selbsterfüllende Prophezeiung.
Ich vergesse am nächsten Morgen tatsächlich mein Smartphone. Das ist noch nie passiert. Einen ganzen Tag lang bin ich offline, ohne Kontakte, Bilder, Nachrichten. Und ich wundere mich. Es fehlt mir überhaupt nicht, mein Smartphone. Konzentriert arbeite ich im Büro die Mails ab, verbiete mir, Facebook am Laptop aufzurufen, telefoniere – mit dem Festnetztelefon. Auf dem Rückweg nach Hause schaue ich mich entspannt um. Statt mit dem Smartphone noch eben schnell eine Freundin anzurufen oder ihre Audionachrichten nach Feierabend bei WhatsApp abzuhören, nehme ich einfach wahr. Plötzlich sehe ich Dinge, die mir vorher nicht aufgefallen sind. Auf einmal höre ich, wie sich die Vögel im Gebüsch um die Nistplätze streiten. Ich sehe die bunten Blumen auf der kleinen öffentlichen Wiese. Sauerampfer, Löwenzahn, Spitzwegerich, Klee, Wiesenschaumkraut, Gänseblümchen… Herrlich. Wie in meiner Kindheit auf dem Schulweg. Ich brauche nur mal so einen kleinen vergesslichen Moment, der das Smartphone aus meiner Nähe verbannt. Und schon tun sich Welten auf – Klänge, Farben, Geräusche, Blicke bei Begegnungen – ein fröhliches “Hallo“ dem Gemüsehändler oder „Guten Appetit“ zu denen an den Stehtischen vor der Imbissbude.
So ein Smartphone ist
wunderbar. Doch bei allem Segen der Technik. Manchmal braucht es diesen Moment,
der mir die Chance gibt, es mal wieder ohne zu versuchen. Und alte
Möglichkeiten neu zu entdecken. Danke Gott, für meine Vergesslichkeit, danke
für die ganze Schönheit um mich herum und die Begegnungen – und dass ich das
alles wahrnehmen kann.
Was soll ich Ihnen sagen, am nächsten Tag habe ich das Smartphone gleich wieder
liegen lassen – aus Versehen natürlich.
Ob mit oder ohne Smartphone - entdecken Sie die Möglichkeiten dieses Tages.
Herzlich grüßt Sie,
Petra Schulze, Rundfunkpfarrerin in Düsseldorf.