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Sonntagskirche | 07.07.2019 | 08:55 Uhr
Heilige auf Augenhöhe
Ich habe ja ein wenig hin und her überlegt, ob ich Ihnen von dem erzählen soll, was ich heute machen werde. Denn ich könnte gut verstehen, dass Sie sich die Augen reiben – oder mit dem Kopf schütteln. Denn: Für Nicht- Katholiken ist das schon starker Tobak, denke ich. Also: Ich will Ihnen sagen, worum es geht. Ich werde in einem kleinen Dorf am Niederrhein, in Jüchen-Neuenhoven eine Monstranz in den Händen halten mit 14 Knochensplittern. Eine Monstranz ist so ein goldenes Schaugefäß, das kennen die ein oder anderen von einer Fronleichnamsprozession. Diese Monstranz ist aber besonders: Denn diese hier wird einmal im Jahr für ein paar Tage gezeigt und das schon seit über 600 Jahren. Das Dorf Neuenhoven füllt sich dann mit bis zu 2000 Pilgern, die gekommen sind, um sie zu sehen: Die Reliquien der 14 Nothelfer. So heißen die, die in der Monstranz zu sehen sind. Ich gestehe, dass auch ich anfangs ein wenig Schwierigkeiten damit hatte: Knochensplitter von Heiligen, von denen man nicht einmal genau weiß, ob und wann sie überhaupt existiert haben: Georg, Blasius und Erasmus, Pantaleon, Vitus und Christophorus, Dionysius und Cyriakus, Achatius, Eustachius und Ägidius, Margaretha, Barbara und Katharina… Wem soll man das noch glaubhaft vermitteln?
Im Laufe der Zeit wurde mir dann aber etwas ganz anderes immer klarer: Diese Überreste in der kleinen, goldenen Monstranz -ob nun echt oder auch nicht- sind keine Beweismittel – sie wollen und sollen es auch gar nicht sein. Es sind einfach Zeichen. Und eines dieser Zeichen – für mich mittlerweile das wichtigste, ist: Da kommen diese vierzehn heiligen Menschen von ihrem Altar, auf dem sie während der Wallfahrtsgottesdienste stehen, herunter und werden den Pilgerinnen und Pilgern hingehalten. Auf Augenhöhe. Was mich dabei auch immer wieder zutiefst beeindruckt: Die Blicke der Pilgerinnen und Pilger, die sich in langer Reihe zur Verehrung aufstellen. Was mir da an Not entgegenkommt, haut mich regelmäßig um. Ja, denke ich mir immer wieder: Hier könnt ihr ganze Arbeit leisten, ihr vierzehn Nothelferinnen und Nothelfer. Und jede und jeder der vierzehn ist für etwas anderes zuständig. Aber nicht im Sinne eines Fachmanns / einer Fachfrau für die besonderen Nöte der Menschen. Sondern im Sinne einer Brücke auf Augenhöhe, die sie letztlich zu Gott bilden – der den Menschen in ihren Nöten helfen will. Da sind eben nicht die Nothelferinnen und Nothelfer wichtig – sondern es ist der Weg wichtig, den sie ermöglichen. Der Weg zu Gott, dem Helfer in allen Nöten.
Auch wenn das alles jetzt sehr katholisch klingt: Ich glaube fest daran, dass wir in unseren Lebensnöten solche Brückenköpfe auf Augenhöhe brauchen. Ohne geht es nicht, ohne wird der Weg zu Gott nicht gelingen. Und das ist unabhängig von Konfession – ja ich glaube sogar unabhängig von Religion. Und ich gehe noch einen Schritt weiter: Wenn Gott uns in unseren Mitmenschen begegnet – dann sind das ebenfalls solche Brückenköpfe auf Augenhöhe. Nicht Gott, der Unnahbare, da oben, irgendwo weit über den Wolken, den nichts wirklich interessiert, der alles das zulässt, was uns hier unten auf der Erde als Katastrophe erscheint. Nein – der uns in unseren Mitmenschen entgegenkommt. Als Helfer in der Not. Auf Augenhöhe. Einer wie du und ich. Genau – auch wie ich selbst. Das ist der faszinierendste Gedanke in diesem Zusammenhang: Ich selbst als Nothelfer auf Augenhöhe, einer, der den Brückenkopf zu Gott bildet. Einer, der sich als Brücke zur Verfügung stellt.
Erst in diesem Zusammenhang macht die Verehrung der Heiligen Vierzehn Nothelferinnen und Nothelfer in Form der Neuenhovener Monstranz wirklich Sinn: Als Erinnerung daran, dass wir alle aufgefordert sind, unseren Mitmenschen auf Augenhöhe als Nothelferin und Nothelfer zur Verfügung zu stehen. Einmal runter von dem hohen Ross, einfach da zupacken, wo Not Hilfe erfordert. In unserer direkten Umgebung oder anderswo auf der Welt.