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Kirche in WDR 4 | 04.09.2019 | 08:55 Uhr
Lataste
„Eine Sprungfeder die stark ist, federt umso höher hinauf, je tiefer sie gedrückt wurde“. Das hat vor 150 Jahren Pater Jean Joseph Lataste gepredigt, der Gründer meiner Kongregation, der Dominikanerinnen von Bethanien. Ok, im Zeitalter der Kaltschaummatratzen ist das Bild nicht mehr ganz so eingängig wie damals. Aber ich sehe diese Sprungfeder trotzdem vor meinem inneren Augen springen und kenne auch noch das Gefühl, auf so einer Matratze zu liegen. Je nachdem wie schwer man ist, wackelt sie mehr oder weniger. Und wie herrlich konnte ich als Kind darauf rumhüpfen!
Pater Lataste ist überzeugt, dass jeder Mensch wie die die Sprungfeder emporfedern kann zu großer Gottesnähe und Gottesliebe. Und das unabhängig davon was er getan hat oder wie schwer seine Schuld ist.
Schuld Stress als Chance! Ja, du hast sogar bessere Chancen ein gutes Leben zu führen, und Gott nah zu kommen, wenn du weißt, wie es sich anfühlt Schuld auf sich geladen zu haben. Weil deine Entscheidung für das Gute dann bewusster und oft viel stärker ist.
Als
Beispiel dafür nimmt er die heilige Maria Magdalena. Sie lebte zurzeit Jesu und
war als die große Sünderin bekannt. Manche sagen, sie sei eine Prostituierte
gewesen – jedenfalls eine, mit der man nichts mehr zu tun haben wollte. Und
diese Frau, Abschaum und Abfall der Gesellschaft - diese Frau wird zur großen
Heiligen, zur großen Liebenden – rangmäßig gleich neben Maria,
der Mutter Gottes. Gegensätzlicher geht es
gar nicht mehr in den Bildern, die uns die Bibel an die Hand gibt. DAS ist
Gottes Logik der Liebe. Das wäre, als ob irgendein Rapper Papst würde. Oder
eben, wie es Pater Lataste vor 150 Jahren gemacht hat, dass ehemalige
Gefängnisinsassinnen Ordensfrauen wurden. Genau: das war das neue an dem Orden,
den Pater Lataste gegründet hatte: Erstmals bekamen straffällige Frauen die
zweite Chance für ein Ordensleben. Unvorstellbar für das damalige moralische
Denken. Nicht aber für Gott.
In meinem Orden wird diese Eigenschaft Gottes besonders gelebt. In Schuld eine Chance sehen, haben wir es als Schwestern in unserer Selbstbeschreibung genannt.
Konkret: keine Schuld ist zu groß, als dass du sie nicht in etwas Gutes umwandeln kannst. Manchmal kannst du Dinge nicht wieder „gut“ machen. Das, was geschehen ist, ist geschehen. Aber du bist niemals verloren. Gott hat dich immer im Blick. Nicht diejenige ist die wirklich Starke, die nie gefallen ist, sondern die, die immer wieder neu angefangen, aufgestanden ist. Und jeder Tag gibt mir die Chance es jetzt anders zu machen. Das macht es leichter mit dem anfangen. Flapsig gesagt hat das mal ein Kollege von mir „es ist total einfach mit dem Rauchen aufzuhören. Ich habe es schon zwanzig Mal geschafft!“.
Aus diesem Bewusstsein heraus lebe ich gut. Ich muss nicht verzweifeln, wenn mir mal wieder der eine oder andere Fehler unterlaufen ist und ich meinen eigenen Ansprüchen an gut sein nicht genüge. Was mir jedoch nie fehlen darf, ist die Sprungkraft, solche Fehler wieder gut zu machen. Wie die Sprungfeder, die umso kräftiger nach Oben schnellt, je tiefer sie runtergedrückt ist.