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Sonntagskirche | 24.11.2019 | 08:55 Uhr

Die Leuchtspur der Begegnung


Es war wohl die schwerste Stunde meiner langen Dienstzeit, dieser Nachmittag im September des

vergangenen Jahres. Ein junger Mann aus unserer Gemeinde war auf offener Straße hinterrücks

von einem Mitstudenten erstochen worden. Laurenz, 23 Jahre alt.

Ich kannte Laurenz und seine Eltern seit seiner Erstkommunion. Viele bunte und frohe

Erinnerungen leuchten auf, denke ich an diese gemeinsamen Jahre. Da ist Nähe gewachsen,

gegenseitige Wertschätzung und Vertrauen. Großes Vertrauen. Sonst hätten wir diese schwere

Stunde niemals miteinander teilen können, von der ich nun erzählen möchte.

Laurenz war unmittelbar nach der Attacke zunächst in die Klinik und dann in die

Gerichtsmedizin gebracht worden. An diesem Nachmittag schließlich durften die Eltern endlich zu

ihrem Sohn. Wie sehr hatten sie diesen Moment herbeigesehnt und wie sehr gefürchtet.

Sie würden es nicht alleine schaffen, das wussten sie genau.

Natürlich begleite ich Sie, hab ich mich sagen gehört. Und zugleich, wie mein Herz angefangen hat

laut zu pochen. So was ist alles andere als Routine – auch für mich als Seelsorgerin nicht.

Zusammen mit dem Pastor hab ich mich auf den Weg gemacht. Wir trafen die Eltern vor der Tür

des Verabschiedungsraumes, in dem Laurenz aufgebahrt lag. Es dauerte einige Zeit, bis Mut da

war, den Raum zu betreten. Die Mutter von Laurenz haben wir zwischen uns genommen. Sie war

völlig in sich zusammengesackt, ihre Beine versagten den Dienst. Aber dann wuchs ihr eine Kraft

zu, die größer war als der Schmerz und die Angst vor dem Anblick des zerschundenen Körpers:

Mein Kind braucht mich und ich bin da! Die Kraft der Mutterliebe hat sie aufgerichtet.

Liebevoll umarmte sie Laurenz. Den gewaltsamen Tod ihres Sohnes mit allen Sinnen be-greifen zu

können – diese Umarmung: das hat ihr geholfen. Ein unbeschreiblicher Moment, so schmerzhaft

und traurig, und zugleich so liebevoll, so wohltuend, so tröstlich.

Nach und nach durften auch alle anderen die kleine Kapelle betreten, die gekommen waren, um

den Verstorbenen persönlich zu verabschieden. Seine besten Freunde und Kolleginnen.

Mit ihnen hatte Laurenz die letzten Stunden seines Lebens verbracht. Junge Menschen,

denen das Leben, von einem Moment auf den anderen, den Boden unter den Füßen weggerissen

hatte.
Für die allermeisten war das die erste Begegnung mit dem Tod überhaupt.

Wie macht man das? Was sagt man?

Unsicher, doch sehr würdevoll sind sie vorsichtig nähergetreten, haben sich den Eltern an die Seite gestellt und den toten Freund wie selbstverständlich in ihre Mitte genommen. Das war so unverstellt, so natürlich, so wohltuend.

Dann haben sich die Eltern von Laurenz seinen Freunden zugewandt. Und es war Raum für all die Trauer, die Verzweiflung, aber auch für die Kraft und das Glück, diesen einmaligen und besonderen jungen Mann gekannt zu haben.

Gemeinsam haben wir gebetet. Für Laurenz. Für seine Eltern. Für einen jeden von uns.

So gestärkt, war es uns möglich, die ersten Gedanken für Laurenz Begräbnisfeier zu

fassen. Die Eltern, die Freunde und wir Kirchenleute. Ich staune heute noch darüber.

An jenem Morgen war die Kirche voll besetzt.

Mehr als vierhundert Jugendliche haben mit uns gefeiert.

Sie hatten keine Scheu zu weinen, zu beten, den Eltern am offenen Grab ein gutes Wort zu

schenken: Was Laurenz ihnen war, woran sie sich gerne erinnern, was sie noch alles gemeinsam

vorhatten. Zusammen mit meinem Kollegen war ich den Eltern an der Seite. Über zwei Stunden

haben wir so auf dem Friedhof gestanden. Die Schlange der jungen Menschen nahm kein Ende.

Jeder ließ dem anderen geduldig Zeit zur Verabschiedung.

Die vielen Begegnungen haben die Eltern zwar sehr angestrengt, doch auch sehr glücklich

gemacht. Laurenz Leben war kurz, aber nicht vergebens.

Inzwischen ist Laurenz mehr als ein Jahr tot. Ein Jahr, in dem die Eltern durch die Hölle gegangen

sind. So beschreiben sie das. Sie gehen den schweren Weg gemeinsam. Und sie sind dankbar

für alle Menschen, die ihnen nicht ausweichen; die sie tragen und manchmal vielleicht auch

ertragen; die ihnen durch liebevolle Gesten und Worte, Besuche und Gebete eine wertvolle Hilfe

sind.

Es war wohl die bisher schwerste Stunde meiner Dienstzeit. Und ich bin nach wie vor traurig

über das, was geschehen ist. Doch vor allem bin ich dankbar, dankbar für den Mut zur

Begegnung, die Leben schenkt! Jede Begegnung, und ist sie noch so schwer, ist eine Leuchtspur

auf den hin, der uns begegnen will. Ihnen und mir. In den schönsten und in den schwersten

Stunden – daran glaube ich.


Gertrude Knepper

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