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Kirche in WDR 4 | 18.12.2019 | 08:55 Uhr
Herbergssuche
Guten Morgen. Ein
Kinderkoffer geht in unserer Gemeinde auf Reisen. Wenn man ihn öffnet, leuchtet
eine Lichterkette auf und drei Figuren werden sichtbar: Die schwangere Maria
und Josef, liebevoll aus Filz gebastelt, und ein handgearbeiteter Esel. Ein
Reisetagebuch liegt dabei. Am ersten Advent im vergangenen Jahr überreicht die
Gemeindeschwester diesen Koffer einem Mann aus der Gemeinde. Was er mit dem Koffer
erlebt, soll er ins Reisetagebuch eintragen und dann den Koffer weitergeben. Am
Gottesdienst zu Heiligabend ist es dann soweit: Passagen aus dem Tagebuch werden
der Gemeinde vorgelesen.
„Ich musste mir erstmal überlegen, ob ich mir das zutraue“, ist da im Buch zu
lesen. “Was soll ich denn machen, wenn das Baby auf einmal kommt? Eine
schwangere Frau unterzubringen, das ist doch eine große Verantwortung.“ Eine
Frau hat geschrieben: „Der Koffer ist eine Zumutung. Was soll ich denn jetzt
damit machen?“ Dann aber hat sie den Koffer beim Kaffeetrinken mit der Familie
ausgepackt. Maria, Josef und den Esel auf den Tisch gestellt und mit den
anderen am Tisch Adventslieder gesungen. Ihre Kinder haben ein Bild ins
Tagebuch gemalt. Die Frau schreibt: „Für diesen unvergesslichen Moment sind wir
dankbar.“ Eine andere Frau findet einfach keinen, der den Koffer nach ihr nehmen
will. Mehrfach erhält sie auf ihre Anfrage ein „nein“. Sie will aber, dass die
Aktion weitergeht. Deshalb geht sie am Sonntag in die Kirche. „Hier müssen doch
Menschen sein, die mir den Koffer abnehmen“, denkt sie. Und siehe da, die
Mutter einer Konfirmandin nimmt ihr die Last ab.
Wenn schon ein Kinderkoffer
mit drei Puppen manchmal keine Aufnahme findet, wie sollen dann Menschen
unterwegs oder auf der Flucht eine Herberge finden? In der Weihnachtsgeschichte
lese ich: Die schwangere Maria und ihr Mann Josef finden keine Herberge. Das
kommende Jesuskind, Gott selbst, wird nicht aufgenommen. Aber Gott lässt sich
nicht abwimmeln. Und vielleicht ist die Geschichte von der Herbergssuche uns
deshalb so wichtig. Weil Gott nicht aufgibt, sondern trotz Widerstand in
unserer Welt ankommt. Mitten in den Unfrieden, um Frieden zu bringen.
Die Hartnäckigkeit Gottes lässt mich hoffen. Und dass so viele Kirchengemeinden
bereit sind, Fremde aufzunehmen. In unserer Kirchengemeinde hat fünf Monate
lang ein jesidisches Paar aus dem Nordirak gelebt. In ihrer Heimat wurden sie
vom IS verfolgt. Der Mann erhielt in Deutschland Asyl. Die Frau folgte ihm nach
und wurde schwanger. Ihr Asylantrag wurde abgelehnt. Das Presbyterium nahm das
Paar auf, damit diese Entscheidung überprüft würde. Viele Menschen halfen: ein
Bett wurde gebracht, eine Waschmaschine besorgt, die Frau durfte am
Sprachunterricht im Haus teilnehmen und lernte Freunde und Unterstützer kennen.
Für den Mann wurde ein Job gefunden. Deutsche und Jesiden besuchten die Frau,
die das Gemeindehaus nicht verlassen durfte. Inzwischen hat das Paar eine
eigene Wohnung gefunden. Das Baby wurde geboren. Der Asylantrag der Frau wird jetzt
hier bearbeitet. Was Einzelnen schwer fällt, können wir als Gemeinschaft
leisten: Ängste überwinden und Menschen, die anklopfen, Türen öffnen. Gott
selbst die Tür öffnen.
Dass Sie heute auf offene
Türen treffen, wünscht Ihnen Pfarrerin Kathrin Koppe-Bäumer aus Meschede.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze