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Kirche in WDR 4 | 21.12.2019 | 08:55 Uhr
Mensch geworden
Guten Morgen. An Heiligabend erwarte ich etwas, das den Alltagsrahmen sprengt. Live und in Farbe. Nicht am PC oder Fernseher. Nein pur. Direkt. Bei uns gibt es am Heiligen Abend verschiedene Räume in der Kirche: Die Feuerstelle der Hirten auf Bethlehems Feldern wird zwischen Kanzel und Altar aufgebaut, der Weihnachtsbaum noch ohne leuchtende Kerzen gibt den dunklen Hintergrund. Vor dem Altar stehen zwei Stühle und ein Futtertrog als Stall von Bethlehem. Hinter den Bänken oder vorne beim Taufstein ist die hohe Handwerker-Leiter aufgebaut. Standort für die Engel, die die Hirten zur Krippe schicken: „Euch ist heute der Heiland geboren. In Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend. Mensch wie du. Angewiesen darauf, dass Hände ihn liebkosen und säubern, Arme ihn tragen und schützen, dass Augen ihn anschauen und ihm Nähe und Wärme schenken, dass Geschichten ihm vom Leben erzählen.“
Jedes
Jahr ziehen Maria und Josef durch den
Mittelgang nach vorne. Ein Ehepaar ist immer wieder bereit, die Rollen zu
übernehmen: Er hält in der einen Hand eine Laterne und mit der anderen stützt
er seine Frau im Rücken. Maria und Josef erwarten ihr erstes Kind und reisen zu
Fuß. Die Schauspieler sind in Wirklichkeit Eltern von drei inzwischen
erwachsenen Kindern. Sie wissen, wie lang eine Schwangerschaft dauert, wieviel
Sorgen man sich macht, wie die Vorfreude gleichzeitig mit dem Bauch wächst und
die Unruhe steigt, je näher der errechnete Geburtstermin kommt. Sie wissen,
dass Kinder sich entwickeln, manchmal anders als die Eltern es erwarten.
Am Heiligabend sind alle hoch konzentriert, die Kostüme passen zu den Rollen,
der Rollentext wird so laut gesprochen, dass er auch die in der letzten Reihe
erreicht und Kinderkrähen übertönt. Aber meistens herrscht in der Kirche eine
gespannte Stille. Obwohl die meisten Gottesdienstbesucher die Grundzüge der
Geschichte kennen, wollen sie sie noch einmal sehen und hören wie kleine
Kinder, denen die Eltern jeden Abend vor dem Schlafen aus demselben Buch
vorlesen müssen.
An Heiligabend geht es um Gott, der Mensch wird. Und um Menschen, die über Gott
staunen: Eine von uns hat ihn neuen Monate lang ausgetragen und zur Welt
gebracht, einer von uns hat ihn behütet vor Kälte und vor Verfolgern, einige
von uns haben Licht in tiefster Nacht gesehen und sich aufwecken lassen. Sie
haben sich zum Kind in der Krippe gebeugt und Gott hat sie angeschaut. Deshalb
sehen sie sich selbst und die anderen Menschen an der Krippe in einem neuen
Licht. Das Schlussbild, wenn alle Schauspieler sich vorne im Altarraum
aufbauen, zeigt es jedes Jahr: Wir sind nicht allein. Gott sieht uns und kommt
zu uns. Gott geht mit uns auf unserem Lebensweg an guten und an schweren Tagen,
wenn wir traurig und allein sind, wenn wir uns geborgen fühlen, wenn Streit uns
bedrückt oder eine Überraschung glückt, wenn uns alles leicht von der Hand geht
oder die Arbeit uns belastet. Darauf ist Verlass.
Dreimal noch schlafen. Dann ist Heiligabend. Dann können auch Sie die Geschichte sehen in einer der Kirchen in Ihrer Nachbarschaft.
Gott behüte Sie bis dahin. Ihre Pfarrerin Kathrin Koppe-Bäumer.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze