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Sonntagskirche | 17.05.2020 | 08:55 Uhr
Kraftvolle Gesellschaft (akt. Wdh.)
Guten Morgen!
Der Esel hat seine langen Ohren über die Augen gelegt - wie Scheuklappen. Die Vorderpfoten stemmen sich störrisch in den Boden. “Nein, Bauer, ich gehe nicht mit.“, scheint er zu denken. „Bevor du mich alten, schwachen Esel umbringen lässt, gehe ich lieber fort!“ Auf seinen Eselsschultern steht ein Dackel, die Nase vorwitzig nach vorn gereckt. Ein echter Jagdhund, durchtrainiert, furchtlos, der weiß wo es lang geht. Auf seinem Rücken sitzt kugelrund, zufrieden und gelassen ein kleines Kätzchen mit treuherzigen Augen. Auf seinem Rücken wiederum steht leichtfüßig auf einem Bein ein fröhlicher, knallbunter Hahn, den Schnabel keck in die Luft gestreckt. Esel, Hund, Katze, Hahn - die Bremer Stadtmusikanten. Aus Pappmaché. Bunt angemalt steht dieses Gemeinschaftskunstwerk in meinem Flur. Die „Wilderers“ haben es gebaut. An sie muss ich gerade jetzt denken. Ich besuche vor einigen Jahren die Künstler-Gruppe in ihrem Hildesheimer Atelier. Es wird viel gelacht, hier ein lauter Streit, da ein trotziger Pinselschwung. Leidenschaftlich widmen sich alle einander und ihren Kunstwerken. Die Kraft der Gruppe, sie steckt auch in der Skulptur der Bremer Stadtmusikanten.
Esel, Hund, Katze und Hahn – sie sind Freunde geworden. Sie alle hatten bei ihrer jeweiligen Herrschaft ausgedient. Scheinbar nutzlos geworden sollten sie nicht mal ein Gnadenbrot erhalten. Sie treffen sich zufällig und machen sich miteinander auf den Weg. Ihre Vision: sich gemeinsam als Stadtmusikanten in Bremen durchzuschlagen. Doch sie finden einen noch viel besseren Platz: Mit Kraft und List vertreiben sie Räuber aus einem Waldhaus, finden dort ein heimeliges Zuhause und das jeweils passende Ruheplätzchen: am Ofen, auf dem Stroh, hinter der Tür und auf dem Hahnenbalken. „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei.“ (1. Mose 2,18) heißt es in der Bibel. Und das ist auch die Botschaft vom Märchen der Stadtmusikanten. Daran erinnert mich meine Skulptur. Und ich erwarte sehnsüchtig, dass ich meine Liebsten und meine Kolleginnen und Kollegen bald wieder von Angesicht zu Angesicht sehen kann. Manchmal braucht man einfach eine muntere, kraftvolle Gesellschaft.
Einen Sonntag, an dem Sie sich an schöne Momente mit Weggefährtinnen und –gefährten erinnern und sich daran freuen, dass es sie gab und gibt – und dass es wieder welche geben wird. Einen gesegneten Sonntag wünsche ich Ihnen!
(aktualisierte Wiederholung vom 25.03.12)