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Sonntagskirche | 31.05.2020 | 08:55 Uhr
Rotkehlchen (Pfingsten)
Das Fest des Heiligen Geistes, der weht wo er will. Der dafür sorgt, dass mir Kraft zuwächst und Mut. Seine Farbe ist rot. Weil er in Feuerzungen den Jüngerinnen und Jüngern Jesu erschienen ist. Als sie nach seinem Tod mutlos waren. Und nicht vor die Tür gehen konnten. Sie hatten Angst vor Verfolgung. Und waren deprimiert. Der Heilige Geist kam ziemlich gewaltig mit Wind und Feuer. Und machte ihnen Beine und ihre Herzen und Seelen wieder zuversichtlich.
Manchmal kommt der Heilige Geist in einer Melodie. Aus einer roten Brust. Aber von vorne: Vor meinem Schlafzimmerfenster steht ein Baum. Ein zierlicher Stamm, leicht geschwungen und eine breite flache Krone. Wie ein Bonsai für Riesen sieht er von oben aus, aus dem oberen Stockwerk. Besonders die kleinen Vögel lieben ihn. Die Heckenbraunelle schätzt ihn genauso wie das kleine Rotkehlchen. Und weil die Dürre der letzten Sommer ihn leider haben vertrocknen lassen und ihm die Blätter fehlen, sehe ich die Vögel jetzt viel besser, wenn sie an ihrem Stammplatz sitzen und singen. Ich kann die Uhr danach stellen. Morgens ganz früh schon weckt mich das Rotkehlchen mit seinem Gesang. Und abends läutet es den Feierabend ein. In meinem Büro übrigens auch. Da sitzt eines in einem Busch auf dem begrünten Garagendach vor meinem Bürofenster. Rotkehlchen sind nicht nur in der Natur beliebt, sondern sie finden sich vor allem als Weihnachts- oder Frühlingsmotiv mit Osterglocken oder Pfingstrosen oder auch sonst als Dekoration auf Postkarten, Müslischalen, Tischdecken oder als Weihnachtsbaumanhänger.
Für mich ist das Rotkehlchen heute ein Pfingstvogel. Weil es unermüdlich singt. Im Sommer und im Winter. Es überwintert bei uns und versüßt mit seiner Melodie Morgen und Abend. Wie kleine Perlen an einer Schnurr tönt der Gesang aus der roten Brust. Eine Legende sagt: Die rote Brust hatte es nicht immer. Sondern die erinnert an Jesus Christus. Die schwedische Schriftstellerin Selma Lagerlöf hat die Legende aufgeschrieben. ( 1 )
Als Jesus am Kreuz stirbt, auf dem Hügel vor Jerusalem, als die Menge johlt und sich die Dornenkrone immer tiefer in seine Stirn gräbt, da kommt ein kleiner hellbrauner Vogel geflogen. Der Mann am Kreuz tut ihm leid.
Mit aller Kraft zieht er mit seinem kleinen Schnabel einen Dorn aus der Stirn von Jesus. Jesu Blut färbt seine Brust rot. Dieses Rot bleibt dem Rotkehlchen und wird an seine Nachkommen weitervererbt.
In England gibt es dazu eine alte englische Volkssage. Da bekommt das Rotkehlchen seine orange-rote Brust, weil es Christus mit seinen Liedern am Kreuz tröstet.
Und wenn es mich heute an diese Geschichten erinnert, wird es zu meinem Trostvogel und ich sage mir: Vielleicht weht der Heilige Geist auch in einem kleinen Vogel und bringt mir durch seinen Gesang Freude und neue Kraft– früh morgens und spät am Abend. Im Sommer wie im Winter. Der abgestorbene Baum, der auch in ein bisschen wie ein Dornbusch aussieht, in dem der Vogel sitzt, ist ein trauriger und schöner Anblick zugleich. Und mahnt mich: Vergiss nicht, dich für die gesamte Schöpfung einzusetzen. Die Vögel brauchen Nahrung, Insekten, Würmer, Samen, Körner und Wasser. Kraftvolle Bäume und Hecken für ihre Nester. Wir gehören alle zusammen. Wir können einander zu großen Tröstern werden. Der Baum, das Rotkehlchen und der Mensch, der sich beides ansieht und sich daran freut und es erhält. Einen gesegneten Pfingstsonntag wünsche ich Ihnen.
( 1 ) https://www.ndr.de/kirche/Das-Kirchenlexikon-Rotkelchen,vogel678.html?fbclid=IwAR2pdBPo1ab3dmxdfZlOiorlXtEyzYvpgqbpCv_ziaPiUxwXovOGb_6vu58 (letzter Abruf am 24.04.2020)
Sendedatum: NDR 18.04.2020 09:20 Uhr, Oliver Vorwald: „Das Rotkehlchen - Großer Sänger vor dem Herrn“