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Kirche in WDR 4 | 14.07.2020 | 08:55 Uhr
Wörter wirken
Guten Morgen. Wörter wirken. Worte sind mächtig. Sie können mich verletzen, wenn sie wie Pfeile geschleudert werden, sie können mich für dumm erklären, wenn sie komplizierte Zusammenhänge plump vereinfachen, aber sie können auch unendlich guttun. Die richtigen Wörter zur rechten Zeit teilen Freude und Leid. Sie trösten und regen an, sie streicheln und ermutigen.
Auch dann, wenn
Corona Hände lahmlegt. Einfach nur die Hand ausstrecken und die
Bekannte damit begrüßen, geht seit Mitte März nicht mehr. Die Hand
leicht heben und der Trauernden zum Trost auf die Schulter legen,
geht nicht mehr. Eine Scheibe Brot anbieten, ein Liedblatt
weitergeben, eine Sprudelflasche reichen und dadurch Kontakt
herstellen – im Moment geht das nur mit den Menschen, mit denen ich
zusammenwohne.
Meine Hände könnten Viren transportieren, auch wenn ich mich ganz gesund fühle.
Ein
kurzes Gedicht von Rose Ausländer fiel mir im März in die leeren
Hände:
Erbarme dich
Herr
meiner Leere.
Schenk
mir
das
Wort
das eine Welt
erschafft. (1)
Ein
Wort, das eine Welt erschafft, das spricht Gott einmal. Zur wüsten
und leeren Erde spricht Gott: Es werde Licht! Und es ward Licht. (1.
Mose 1,3) Ein Wort, das das Unheil abwendet, spricht Jesus, als ein
zerstörerischer Sturm Wellen im See Genezareth aufwühlt. Sie
bedrohen das Fischerboot. Da sagt Jesus zum Wind: Schweig! Verstumme!
Und der Wind legt sich. (Markus 4,39) Ein heilsames Wort spricht
Jesus zu dem Lahmen, der von seinen Freunden auf seinem Bett zu ihm
gebracht wird. Jesus sagt: Steh auf, nimm dein Bett und geh heim! Und
der Mann steht auf und nimmt sogleich sein Bett und geht hinaus.
(Markus 2,11f.)
Rose
Ausländer hat beim Dichten unter ihrer Leere gelitten. Das kenne
ich: Ich will einen Beileidsbrief schreiben, ein Geschenk gestalten,
einen Arbeitsauftrag im Homeoffice bewältigen, ein neues Spiel mit
den Kindern ausprobieren, eine Andacht entwerfen, ein Meisterstück
bauen, doch die zündende Idee bleibt aus. Nur Leere.
Da kommt
Gott zum Tragen, hofft die Dichterin Rose Ausländer und bittet:
Schenk mir das Wort, das eine Welt erschafft. Sie hat an vielen Orten
gelebt, hat Polnisch, Deutsch und Englisch gesprochen, hat Todesnot
im Konzentrationslager überlebt. Am Lebensende dichtet sie nur noch
auf Deutsch. Findet ein Wort, von dem Energie ausgeht, fügt ein
nächstes hinzu und eine Zeile entsteht. Sie streicht ein Wort aus
und füllt die Lücke mit einem anderen, lässt weißen Raum für
Stille, die spricht.
Viel kann aus Leere wachsen. Mit Gottes Hilfe. Und wenn ich aufmerksam wahrnehme, was mein Gegenüber sagt, wie sie die Worte ausspricht.
Wenn ich darauf im richtigen Rhythmus mit Worten reagiere, kann wie durch ein Wunder Nähe entstehen. Bewusster als sonst sage ich seit Mitte März im Gespräch: Ich freue mich mit dir. Ich spüre, dass du traurig bist. Ich bete für Sie.
Und wie gut tut es mir selbst, wenn ich Augen über einer Schutzmaske aufblitzen sehe und jemand mich fragt: Wie geht es Ihnen heute? Oder: Pass auf dich auf.
Das passende Wort für heute, das wünsche ich Ihnen.
(Ende WDR 4, Verabschiedung für WDR 3 und 5: )
Ich bin Pfarrerin Kathrin Koppe-Bäumer aus Meschede.
( 1 ) Raimund Hoghe: Wenn keiner singt, ist es still. Porträts, Rezensionen und andere Texte (1979-2019), Verlag: Theater der Zeit, 2019, ISBN-10: 3957492599.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze