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Kirche in WDR 4 | 22.10.2020 | 08:55 Uhr
Gebet vor der Kirche
am frühen Morgen bin ich auf dem Weg zu einem Arzt. Ich komme an einer Kirche vorbei, die in der Fußgängerzone im Stadtzentrum liegt. Die Kirchentür ist um diese Uhrzeit noch verschlossen. Ein Mann mit einem Rollator steht davor und kommt nicht rein.
Da sehe ich, wie dieser Mann die Hände zusammenlegt, den Kopf neigt und eine Weile still verharrt. Dann stützt er sich wieder auf seinen Rollator und verschwindet hinter der Kirchenmauer.
Ein Gebet vor der verschlossenen Kirche. Was diesen Mann mit Rollator wohl bewegt hat, so früh hier her zu kommen? Vielleicht ein Unglück, Sorgen um die Angehörigen oder Freunde. Oder sich selbst. Seltsamerweise habe ich daran nicht zuerst gedacht, sondern mein erster Gedanke bei dem Anblick des Mannes vor der Kirche ist: Hier ist einer draußen und betet für die, die drinnen sind. Normalerweise ist es ja eher umgekehrt. In der Kirche wird in den Sonntagsgottesdiensten für die Welt da draußen außerhalb der Kirchenmauern gebetet.
Ich finde es eine schöne Vorstellung, dass jemand außerhalb der Öffnungszeiten und Gottesdienste für die Kirche beten könnte. Sie hätte es sehr nötig. Auch die Pfarrer und Pastorinnen und anderen kirchlichen Mitarbeitenden brauchen das Gebet der Gemeinde. Das stärkt sie für ihren Dienst.
Selbst der große Kirchengründer Paulus, der in ganz Europa herumgereist ist und dort christliche Gemeinden gegründet hat, fordert die Christen in Rom auf: „Betet für mich.“ Denn es gab Widerstände gegen seine Arbeit.
Beten außerhalb der Kirchenmauern. Mitten im Alltag. Reden mit Gott.
Wie ein solches Gebet aussehen kann hat Jesus einmal in einer Predigt erklärt.
Sprecherin: „Wenn du betest, dann gehe in deine Kammer und schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir’s belohnen.“ (Matthäus 6, 6, Lutherbibel 2017)
Jesus lädt hier zu einem ziemlich „weltlichen“ Gebet ein. Denn die Kammer, von der er hier die Rede ist, war zurzeit Jesu der einzige kleine Raum im palästinensischen Haus, den man abschließen konnte: die Speisekammer. Also kein sakraler Raum, sondern ein Raum prall gefüllt mit Lebens–Mitteln. Ich finde, ein wunderbar ungewöhnlicher Ort für ein Gebet. Denn auch das Gebet ist ein Mittel zum Leben. Ich kann meine Sorgen und dunkelsten Gedanken mit Gott teilen. Genauso wie meine Sehnsucht und Freude. Und ich kann für andere beten, die in anderen Räumen in dieser Welt unterwegs sind.
Also, vielleicht denken Sie mal dran beim nächsten Gang in die Speisekammer oder den Vorrats-Keller: Ein kurzes Gebet oder ein Vater Unser außerhalb der Kirchenmauern ist in Jesu Sinne ein wirksames Gebet.
Ihr Pastor Christoph Neumann aus Hemer.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze