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Kirche in WDR 4 | 17.08.2022 | 08:55 Uhr
Es ist ärgerlich
„Mama,
die Scheibe ist kaputt“. Meine 6-Jährige entdeckt zuerst, dass an unserem Auto
etwas nicht stimmt. Die Scheibe der Beifahrertür ist kaputt. Tausende kleine
Stücke Glas liegen überall herum. Mein erster Gedanke „da ist spielenden
Kindern etwas dagegen gefallen…wie doof“. Bis das mich jemand fragt „hattest du
etwas dort drin liegen?“. Daran hatte ich gar nicht gedacht. Natürlich….mein
Handy lag dort und mein Portemonnaie. Beides ist nicht mehr da. Keine
spielenden Kinder, Diebe! Dabei stand das Auto direkt vor der Kirche, keine 20
Meter von uns entfernt, wo wir draußen fröhlich mit den Kindern an einer
biblischen Geschichte im Karton gebastelt haben.
Ich bin fassungslos und bestürzt. „Lieber
Gott, da kommen wir zu dir, und dann so was…“, denke ich.
Die Polizei kommt und nimmt alles zur Anzeige auf. Zum Glück helfen mir liebe Menschen, den ersten Schock zu überwinden und erste Schritte einzuleiten – Bankkarte sperren, Scherben wegfegen. Ich bin nicht allein. Das tut so gut. Und auch die Polizei ist mir wohlgesonnen und gibt mir Tipps für ein weiteres Vorgehen.
Zuhause
angekommen versuche ich die restlichen Dinge zu regeln und immer noch bin ich
fassungslos, dass mir so etwas passiert. Ich habe jetzt so viel Arbeit und ich
will doch bald ins Ausland, da brauche ich den Personalausweis. Und dann
begegnen mir die beiden Ukrainerinnen, die momentan noch bei mir leben. Ich
relativiere. Mir sind nur Sachen gestohlen worden, die ich wiederbeschaffen
kann. Klar kostet ein neues Handy Geld und das Bargeld ist auch weg, ich
brauche eine neue Scheibe, neue Ausweise, Führerschein und und und… aber ich
kann es bekommen. Den Kindern geht es gut, mir geht es gut. Was ist das im
Vergleich zu dem, was meine beiden wunderbaren Mitbewohnerinnen aus
Dnijpro
zurücklassen mussten und
vielleicht nie wieder ersetzt bekommen. Vielleicht wird ihr Haus zerstört,
vielleicht sehen sie ihre Familie in der Ukraine nie wieder? DAS ist
entsetzlich und unfassbar.
Vieles,
was in unserem Alltag ärgerlich ist, ist eben nur das: ärgerlich. Es ist nicht
lebensbedrohlich und oft auch nicht existenzbedrohlich. Wir verwenden oft viel
Energie darauf, uns über Dinge zu beschweren, die zu ersetzen sind, ohne die
wir auch mal leben können. Zumindest für eine Weile (da denke ich mal an mein
Handy). Es gibt eine Menge Menschen, bei denen es um viel mehr geht als
Arbeitsaufwand und Bequemlichkeitsverlust.
Angesichts des Krieges stelle ich mein Meckern ein. Ich werde stumm in
der Dankbarkeit für all das, was mir dieser Staat noch gibt – neue Ausweise,
Karten, Verträge, versicherte Glasscheiben. Lassen wir uns von solchen Dingen
nicht den Tag verderben.
Heute wird ein guter Tag. Ganz bestimmt. Egal was kommt.