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Kirche in WDR 4 | 19.09.2022 | 08:55 Uhr
Gesehen werden
Guten Morgen,
wir schlendern die Haupt-Touristenmeile entlang, vorbei an den üblichen Souvenir-Ständen mit Geschirrtüchern, Mützen, Stofftaschen, T-Shirts und Pullis mit Namen und Logo des Urlaubsortes - was man halt so üblicherweise mitbringt. Da sitzt ein Mann an der Nähmaschine und näht gerade auf eine Schürze den Namen Florian. Auf Wunsch versieht er jedes Stoffteil mit dem individuellen Wunschnamen. Dadurch bekommt jeder Artikel etwas Einmaliges. Er ist speziell auf einen Menschen zuhause zugeschnitten. Ach guck, geht mir durch den Kopf, Souvenirs werden offenbar immer individueller.
Der Name des Urlaubsortes auf der Brust reicht nicht mehr. Nicht nur landestypisch soll es sein, das Mitbringsel. Es soll auch sagen: Das hier haben wir ganz speziell für dich ausgesucht. Umso wichtiger vielleicht, weil es immer schwieriger wird, etwas Besonderes oder Einmaliges zu finden. Und: Zuhause sind wir ja auch ganz individuell unterwegs: Manche absolvieren ihr ganz individuelles Fitnessprogramm oder Work out, vielleicht sogar mit Personaltrainer. Mein kleines privates Auto lässt sich in Farben und Inventar individuell konfigurieren. Nur wenige dieser Marke sehen gleich aus. Es gibt Restaurants, in denen ich mir mein Essen selbst zusammenstelle: Welche Pasta und welche Sauce ich möchte. Oder welche Zutaten in meinen Salat sollen. Wir alle sind ganz individuell unterwegs, haben unseren eigenen Geschmack. Wir möchten zeigen, was uns einzigartig macht, uns abheben aus der Menge. Gesehen werden mit dem, was uns ausmacht. Und vor allem auch: Das tun und lassen, was passgenau für uns ist. Das wird durch all die Angebote bedient und ist auch in Ordnung. Solange es auch noch Gemeinsamkeiten gibt oder wir uns noch auf Kompromisse verständigen können.
Nur: Die Bereitschaft dazu nimmt nach meiner Wahrnehmung ab. Wie lange es manchmal dauert, bis man sich geeinigt hat, wo man etwas zu essen bestellt: beim Italiener, Chinesen, Burger-Laden oder im veganen Restaurant. Ohne Kompromiss bleiben die Teller leer. Ich denke manchmal, als Christin dürfte mir das doch gar nicht schwerfallen. Ich kann mich doch darauf verlassen: Gott sieht mich, ganz speziell mich in meiner Individualität. „Du bist ein Gott, der mich anschaut. Du bist die Liebe, die Würde gibt. Du bist ein Gott, der mich achtet. Du bist die Mutter, die liebt,“(1), singen wir in der Kirche mit Hagar. Das ist eine Frau aus der Bibel, die sich als Magd von Ihrer Herrschaft nicht anerkannt und gesehen fühlt.
Weil ich mich von Gott geliebt weiß, bin ich nicht darauf angewiesen, von anderen Menschen wahrgenommen zu werden oder meine Bedürfnisse und Interessen immer eins zu eins umsetzen zu können. Ich kann auch mal mit anderen einen Kompromiss eingehen oder damit gemeinsam etwas geht, persönlich zurückstecken.
Oder es kann mir wichtiger sein, dass wir überhaupt zusammen wegfahren, als dass es genau zu meinem Lieblingsziel geht. Oder es macht mir so viel Spaß zusammen zu kochen und zu essen, dass ich auch mal was Anderes esse als sonst. Gemeinsam etwas auf die Beine stellen - in einem Verein, einer Partei oder in einer Gemeinde – das macht so viel Freude. Auch dann, wenn nicht meine Herzensidee umgesetzt wird.
Auch Ihnen viel Freude bei solchen gemeinsamen Aktionen wünscht
Barbara Schwahn, Krefeld.
(1) Du bist ein Gott, der mich anschaut, Freitöne, DEKT 2017, S. 4, Refrain.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze