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Kirche in WDR 4 | 16.12.2022 | 08:55 Uhr
Ein Spaziergang im Advent
Guten Morgen! An einem Abend bin ich einfach nur spazieren gegangen. Im Advent. In einer Zeit, in der immer irgendetwas zu erledigen ist. Ich nehme mir die Zeit, durch die Straßen der Stadt zu schlendern und nur zu schauen. Die anderen eilen, sind bepackt, im Vorübergehen prüfen sie die Sachen in den Schaufenstern. Warten, dass sich etwas in ihren Blicken festhakt, das sie in schnellem Kauf an sich bringen können. Ich sehe den Himmel über den Häusern dunkel werden. Die großen Sterne, die an Leinen über die Straße gespannt sind, gehen an, Kerzen auf Fensterbänken leuchten, Tannenbäume stehen allerorten. Die vertrauten Lieder klingen, aber ich nehme sie kaum wahr – zu oft schon habe ich sie gehört. Und ich lausche den Gesprächsfetzen der Paare, höre gescholtene Kinder murren und die Rufe der Frauchen nach ihren Hunden. Ich rieche die Düfte des Weihnachtsmarktes, mal eher unangenehm, mal verlockend. Und sehe die Kaufpaläste und Passagen, die Kolonnaden und Kirchen. Ich verweile mal hier, mal dort, schließe die Augen und merke: Der Advent verändert die Stadt. Und die Ampeln wechseln die Farben, Autos gleiten an mir vorbei, Busse schweben mit aufrecht sich haltenden Gästen. Die wenigen Bäume in der Stadt tragen kleinste Lampen auf ihrem weißen Kleid, der kleine Park steht schwarz. Das Denkmal vor dem Rathaus, sonst Landeplatz der Tauben, ist umringt von Würstchenbuden und Burgerständen. Glühwein mit Schuss ist der Renner. Und die, die Schmuck und Honig und Ledersachen und Schaffelle und Schnitzereien aus dem Erzgebirge anbieten, ersehnen Menschen mit Kauflust und Kaufkraft. Auch die, die Geld erbitten, sind wieder da, hingekauert auf kaltem Boden, mal mit stumm ausgestreckter Hand, mal mit Hund, mal ein wenig musizierend. Nicht viele Vorübergehende nutzen die Gelegenheit zur Güte. Beim Schlendern streife ich auch diverse Herbergen – edle Hotels und Unterkünfte für Stunden; feine Restaurants und Speiseplätze amerikanischer Herkunft, die wie Kantinen wirken. Wie wichtig ist das Essen für die, die in die Stadt gekommen sind, staune ich. Und wie sie sich danach wieder ins Getümmel stürzen. Viele haben lange Wunschzettel zu bedienen und wollen die Ihren nicht enttäuschen. Ich selbst habe das Meine schon getan. Ich weiß, was ich will. Und nehme mir vor: Ich erliege jetzt und hier keiner ungeplanten Verlockung. So flaniere ich mit guten Gefühlen durch die Stadt. Lese Botschaften von Hass und Liebe auf den Brettern der Bauzäune. Sehe grelle Plakate, die verlangen, dass ich ihren Versprechungen glaube. Ich sehe das Postamt und das Theater, ein Museum und das Opernhaus und einen Notarztwagen mit Blaulicht. Ich hoffe, dass hier gerade jemand gerettet wurde. Und als ich den Spaziergang beende, staune ich noch einmal über das ganze wogende Leben der Stadt, von dem ich ein Teil bin. Und ich merke, wie ein Gebet mein Inneres füllt:
„Guter Gott, nun will ich es gut sein lassen, was in dieser Woche gewesen ist. Nun will ich gut sein lassen, was mich belastet und bedrängt, geärgert, gekränkt und beschäftigt hat. Es war dein Weg mit mir.
Danken will ich und dich
neu bitten um Weg, Segen und Zeit. So kann ich es gut sein lassen.“
Die Lust auf einen zweckfreien Spaziergang im Advent wünscht Ihnen Ihr Pfarrer Michael Opitz aus Düsseldorf.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze