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Kirche in WDR 4 | 27.06.2024 | 08:55 Uhr
Der zweite Keks
Guten Morgen.
Darf ich vorstellen: Das ist Saschka.
Sie könnte auch Nesrin heißen oder Monika.
Sie trägt ein Goldkreuz oder ein Kopftuch.
Ist tätowiert oder hat die Nägel schön.
Morgens steht sie vor fünf auf. Trinkt schnell einen Kaffee und macht die Schulbrote für die Kinder fertig.
Dann zieht sie sich an und
legt ein bisschen Makeup auf.
In der
kalten Morgenluft geht sie zum Laden.
So früh fährt meistens kein Bus.
Sie schließt das Rolltor auf und schaltet die Alarmanlage ab.
Es ist ruhig im Laden.
Sie atmet die Stille ein und nimmt die Schürze vom Haken.
Dann nimmt sie die gefrorenen Teiglinge aus dem Tiefkühler und schiebt sie auf Holzplatten in den Gärschrank.
Aus ihnen sollen in zwei Stunden Brötchen werden.
Ihre Hände werden dabei ganz steif und klebrig. Das kommt von dem Mehl-Eis-Gemisch, das an den Teigstücken klebt.
Während die Teiglinge gehen, kommt die Kollegin.
Sie holen die Kuchen von gestern aus der Kühlung.
Ist alles noch gut?
Oder muss es auf die Retoure geschrieben werden. Nicht mehr als 20 Prozent dürfen auf den Retouren-Zetteln stehen, sonst gibt es Ärger vom Bezirksleiter.
Das muss ja nicht sein.
Sie warten auf den Fahrer, der Kuchen und Teilchen bringt, machen zwei Kannen Kaffee fertig und befüllen die Siebträgermaschine.
Manchmal hat der Fahrer Zeit. Dann trinken sie eine Tasse Kaffee gemeinsam.
Die aus den Kannen.
Die Siebträgermaschine ist für die Kunden.
Sobald die Teiglinge gegangen und gebacken sind, bestücken sie die Theke mit Kuchen und belegten Brötchen.
Die gold-braunen Kaiserbrötchen verbreiten ihren Duft und Wärme.
Das schwere Brot packen sie in das Regal hinter der Theke.
Wenn die ersten Kunden kommen, tut ihr schon der Rücken weh.
Sie mag Herrn Müller, der immer ein Körner und ein Kaiser nimmt. Für seine Frau ein Hedwig.
Wieso Rosinenbrötchen einen Frauennamen haben, hat sie nie verstanden.
Frau Küttelsmann redet gern ein bisschen.
Die Frau in der grünen Jacke ist immer in Eile.
Es wird warm im Laden. Der Ofen heizt die Luft immer mehr auf.
Jetzt backen sie Laugenstangen und -brezeln.
Die werden zur Mittagszeit gerne gekauft.
Schließlich kommt ein Mann in den Laden.
Den kennt sie noch nicht.
Er schaut auf die Tafel über ihr und bestellt einen – „äh, Cappuccino.
Nein, eine dunkle Schokolade.
Ach, doch einen Cappuccino.“
Sie nimmt die Tasse mit dem goldenen Schriftzug. Sie mahlt die vorgeschriebene Menge an Bohnen und wartet, bis der braun-schwarze Espresso in die Tasse läuft.
Dann schäumt sie die Milch auf und zaubert eine schöne Haube in die Tasse.
Auf die Untertasse legt sie den vorgeschriebenen Keks.
Dann sieht sie dem Mann ins Gesicht.
Er sieht müde aus.
So müde, wie sich ihr Rücken und ihre Füße anfühlen.
Sie zögert einen Moment.
Dann nimmt sie noch einmal die Gebäckzange und legt einen zweiten Keks auf die Untertasse.
Einen Schoko-Keks.
„Den brauchen Sie heute“, sagt sie und schiebt alles zu ihm rüber.
Der Mann schaut sie an.
Das erste Mal, seit er sich für den Cappuccino entschieden hat.
Dann lächelt er leicht. „Danke“, sagt er und legt drei achtzig auf die Theke.
Es grüßt Sie, Pfarrerin Anneke Ihlenfeldt aus Gummersbach.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze