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Sonntagskirche | 04.08.2024 | 08:55 Uhr
Seelenmüll
“Miep, miep, miep!” Unsanft reißt es
mich aus dem Schlaf. Es ist Dienstagmorgen, Viertel nach sechs - die Müllabfuhr.
Ganz schön praktisch, so ein
Entsorgungssystem. Wir sammeln einfach unsere ganzen Altlasten, stopfen sie in
eine Tonne - gut sortiert natürlich - die Müllabfuhr kümmert sich um den Rest.
Und wir? Wir fühlen vielleicht einen kurzen Moment der Leichtigkeit.
Und da frag ich mich: Wäre das nicht grandios, wenn die Müllabfuhr nicht nur für meine Joghurtbecher, Milchtüten und alte Zeitungen kommen würde, sondern auch für meinen seelischen und mentalen Müll? Wie wäre es, wenn ich meine Probleme und Sorgen einfach in eine Tonne werfen könnte? In schön regelmäßigen Abständen käme die, sagen wir Gedankenreinigung. Mein Seelenmüll wäre aus den Augen, aus dem Sinn. Das wäre doch mal was!
Klar, auch hier müsste ich sortieren: Zukunftsängste? Gehören in die Schadstoffbox, denn nichts vergiftet die Lebensqualität so sehr wie das ständige Grübeln über die Zukunft. Düstere Gedanken über den Klimawandel? Kommen natürlich in die Biotonne. Schnöde Alltagssorgen? Ab zum Restmüll. Aber was passiert mit unserem Seelenmüll, wenn er erst einmal abgeholt wurde? Na, er kommt auf die Deponie, wie der richtige Müll. In meiner Heimatstadt gab es so eine Mülldeponie. Inzwischen ist die geschlossen, die ist voll. Aber noch heute können die begrünten Hügel nicht verbergen, dass darunter Berge an Müll verrotten.
Der Müll, auch der mentale, ist also nicht wirklich weg. Er ist einfach nur woanders. Und je nachdem, wo wir uns befinden, welche gedankliche Abfahrt wir nehmen, können wir ihm wieder begegnen, als riesige Berge ungelöster Probleme. Und die sehen ziemlich einschüchternd aus. “Wie wäre es denn mit Recycling?” fragen Sie sich vielleicht. Hmm…grundsätzlich kein schlechter Gedanke, aber mal ehrlich: Wollen Sie alte Probleme aber in neuem Gewand erneut wälzen? Ne, bitte nicht. Dann doch lieber “Upcycling”. Alte Sorgen und Ängste aufarbeiten und aus ihnen etwas Neues, Besseres erschaffen.
Meiner Angst vor der Zukunft und vor finanzieller Unsicherheit könnte ich beispielsweise begegnen, indem ich meine Altersvorsorge endlich angehe und Mittel und Wege finde, meine Zukunft auf finanziell sichere Beine zu stellen. Meine tägliche Sorge um die Familie relativiere ich, indem ich mir ganz genau anschaue, welche Ängste sich eigentlich dahinter verbergen. Ist es die Angst verlassen zu werden, der Verlust an Kontrolle? Es lohnt sich, hinter die vorherrschenden Gefühle zu schauen und die dahinter liegenden genauer zu betrachten. Dann kann ich bestimmte Gedankenmuster aufbrechen und immer wiederkehrende Sorgen kommen im besten Fall erst gar nicht auf.
Womit ich beim letzten Ansatz wäre: der Müllvermeidung. Denn wie mit dem richtigen Abfall verhält es sich auch mit dem mentalen Ballast. Wege zum Re- und Upcycling sind wertvoll, um der Flut an (seelischem) Abfall Herr zu werden. Viel effektiver ist es aber, diesen Müll erst gar nicht zu produzieren. Heißt: Wann immer ich es schaffe, mich gedanklich im Unverpacktladen zu bewegen, also ohne emotionale Altlasten oder lähmende und sperrige Gedankenmuster, reduziere ich meinen mentalen Ballast - und kann für den Rest irgendwann sogar eine kleinere Tonne bestellen.