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Kirche in WDR 4 | 07.08.2024 | 08:55 Uhr
«Das hast du nicht nötig!»
Guten Morgen
Bei einer Konferenz sitze ich mit einigen Kollegen beim Frühstück zusammen. Der Tag fängt gut an! Die meisten kenne ich nur flüchtig, doch wir verstehen uns an unserem Tisch auf Anhieb. Argumente fliegen wie Bälle hin und her. Die Stimmung ist gut, jedenfalls besser als das Essen. Und schnell wird deutlich, dass wir die Ansichten der anderen größtenteils teilen und die Vorurteile auch. Eh wir uns versehen, reden wir über andere Kollegen, als wären es die größten Deppen.
Um was es ging? Ich weiß es ehrlich gesagt gar nicht mehr genau. Irgendwie ging es um Glaubensdinge, aber es hätte genauso gut um Fußball gehen können oder Politik. Und es spielt auch eigentlich keine Rolle.
Aber ich weiß, was mir ein Kollege sagte, der neben mir saß und unser Gespräch mehr oder weniger unfreiwillig mitbekommen hat, ohne sich aktiv daran zu beteiligen. Doch als er aufstand, sagte er einen Satz, den ich nicht vergessen habe: „Du hast es gar nicht nötig, dich abzugrenzen.“ Ich fühle mich ertappt und kalt erwischt. Das war echt nicht nötig, denke ich. Und nehme das Kompliment, das darin steckt, erstmal überhaupt nicht wahr.
„Du hast es gar nicht nötig, dich abzugrenzen.“
Am liebsten würde ich entgegen, dass es oft genug nötig ist, sich abzugrenzen. Wenn gegen andere gehetzt wird. Oder wenn Schwächere mit schlechten Witzen runtergemacht werden. Dann ist es nötig ist sich abzugrenzen. Ja.
Aber es ist genauso nötig, sich nicht überall abzugrenzen, nur weil ein anderer anders tickt und denkt, eine woanders herkommt, anders aussieht.
Dann heißt es schnell: „Wir“ oder „Die da“…, „Ich“ oder „Der da“…
Dabei bilde ich mir eigentlich ein, durchaus sensibel zu sein, was Vorurteile angeht. Eigentlich. Aber vielleicht bilde ich es mir in Wirklichkeit auch nur ein und sehe im anderen auch zuerst einmal… die Unterschiede.
Wie wäre es, wenn ich ausnahmsweise zuerst einmal das Gemeinsame sehe, und wenn es sich noch so banal anhört.
In der Regel hat er oder sie auch zwei Augen und zwei Ohren, eine Nase und einen Verstand, der uns lehrt, dass wir alle nur Menschen sind. Und dass auch unsere Erbanlagen als homo sapiens mehr Gemeinsamkeiten mit anderen aufweisen als uns vielleicht lieb ist.
Oft sprechen wir die gleiche Sprache, kommen aus der gleichen Gegend und leben doch in einer anderen Welt. Vielleicht haben wir die gleichen Freunde und glauben sogar an den gleichen Gott. Doch gerade Frömmigkeit ist leider wenig kompatibel.
Da tut es oft am meisten weh, wenn es Unterschiede gibt. Dabei denke ich, es gibt nur einen Gott, auch wenn wir Menschen, gerade in Fragen über ihn, ganz unterschiedlicher Meinung sind.
Der Schriftsteller Navid Kermani hat es einmal so beschrieben: „Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näher kommen.“ (1) Einen Schritt näherkommen. Mehr braucht es oft nicht, um einander etwas besser zu verstehen, nicht nur akustisch.
Wer sich immer nur abgrenzt, lebt wie auf einer Insel. Dabei haben wir es gerade heute bitter nötig, aufeinander zuzugehen und das Gemeinsame im Auge zu behalten. »Es ist nicht gut, dass der Mensch so allein ist.« (2) heißt es in der biblischen Schöpfungsgeschichte (Die Bibel, 1. Mose 1,18). Ich möchte mich gerne auf andere einlassen, auch oder gerade weil sie anders sind. Anders, aber immer Gottes geliebte Menschen.
(Ende WDR 4, Verabschiedung für WDR 3 und 5: )
Ihr Heinz-Bernd Meurer aus Velbert.
(1) Navid Kermani, „Jeder soll von da, wo er ist einen Schritt näher kommen.“ (Carl Hanser Verlag München 2022)
(2) Gute Nachricht Bibel, deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 2018.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze