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Kirche in WDR 4 | 09.08.2024 | 08:55 Uhr
Ich hab´ dich nie weinen gesehen
Guten Morgen.
Da sitzen wir als Familie zusammen. Es ist ein langer und schöner Tag. Wir haben geredet, gespielt und gut gegessen. Nun machen sich alle wieder auf den Weg. Ich sitze mit unserer Jüngsten, die auch längst erwachsen ist, noch ein wenig am Tisch zusammen. Vor mir steht noch ein kleiner Espresso. Was für ein schöner Ausklang, denke ich.
Doch es bleibt nicht beim Geplänkel. Unsere Gespräche sind in den letzten Jahren tiefer und ehrlicher geworden. Daran muss ich mich noch gewöhnen, wie an diesem Abend, als sie mich ansieht und mir unvermittelt sagt: „Papa, ich hab´ dich nie weinen gesehen.“
Es mag Väter geben, die das als Kompliment empfinden. Bloß keine Schwäche zeigen. Manche reiben sich für diesen Heldenstatus auf, damit es möglichst lange so bleibt. Bloß immer stark sein. „Was uns nicht umbringt, macht uns nur stärker.“
Wobei die Zeiten eigentlich vorbei sein sollten, wo Mann solche Sprüche braucht.
„Papa, ich hab´ dich nie weinen gesehen, als ich klein war.“
Sie sagt es nicht vorwurfsvoll, eher mit einem etwas traurigen Gesicht. Es ist… eine schlichte Feststellung. Aber eine Feststellung die mich traurig stimmt. Nicht darüber, dass sie so etwas sagt, sondern weil sie damit Recht hat. Ich glaube, ich habe schon ziemlich breite Schultern, also nicht vom Fitnessstudio. Aber ich kann was aushalten. Und wir mussten als Familie einiges aushalten.
Eltern sind die Helden ihrer Kinder, zumindest für viele und bis zu einem gewissen Alter. Sie können alles, machen alles und wissen alles: „Papa ist der Stärkste“ und „Mama ist die Beste“ oder umgekehrt. Bis die Kinder davon genug haben, dass Eltern meinen, alles besser zu wissen und alles besser zu machen. Kinder brauchen Eltern, keine Supermänner und Superfrauen. Sie brauchen uns - und keine Helden, die immer stark sind.
Und ich habe gelernt, dass auch Gott keine Helden oder Heilige braucht.
Wussten Sie zum Beispiel, dass der Jünger Petrus sich mehrfach schämt und weint? (Die Bibel, Matthäus 26,75; Lukas 5,8) Petrus, den Jesus als Fels bezeichnet und auf den er seine Gemeinde baut. Oder der kraftstrotzende Apostel Paulus, der täglich ein gewaltiges Arbeitspensum bewältigt, und sich später über seine Schwächen freut. Weil er gerade in diesen Zeiten der vermeintlichen Schwäche spürt, wie Gott ihm Kraft gibt und gnädig mit ihm umgeht. (Die Bibel, 2. Korinther 12,9f)
Am meisten beeindruckt mich aber, was der Prophet Hosea in der Bibel von Jakob berichtet.
„Jakob kämpfte mit dem Engel Gottes und besiegte ihn“, heißt es da. (Die Bibel, Hosea 12,5)
Ein verwegener Gedanke, dass ein Mensch Gott besiegen kann. Doch Hosea fügt einen Gedanken an, der vielleicht noch verwegener ist: Jakob siegte, indem er weinte.
Indem er sich ehrlich und verletzbar machte. Da konnte etwas Neues beginnen.
In den letzten zwei Jahren hat mein Kind mich auch weinen gesehen. Es hat uns beiden gut getan. Denn es waren gerade diese Situationen, die uns einander nähergebracht haben. Ehrlich voreinander zu sein, auch in aller Schwäche, auch im Scheitern.
Das hat uns geholfen und zueinander gebracht. Oft fängt Heilung und Beziehung da an, wo wir uns ehrlich und damit auch verletzbar machen.
(Ende WDR 4 und Verabschiedung WDR 3 und WDR 5)
Ich wünsche Ihnen viel Mut heute, sich ehrlich zu machen.
Ihr Heinz-Bernd Meurer aus Velbert.
(1) Gute Nachricht Bibel, deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 2018.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze
