Beiträge auf: wdr4
Sonntagskirche | 01.09.2024 | 08:55 Uhr
Was mir heilig ist
Guten Morgen.
Jeder hat einen davon. Jeder hat einen Menschen in der Nachbarschaft, der einem irgendwie Stress macht. Einen Nachbarn, der seinen Rasen mit der Nagelschere pflegt und darum kritisch den aufblühenden Löwenzahn auf meinem beäugt. Eine Nachbarin, die ihre Rosen perfekt pflegt, jedes vertrocknete Blatt sofort entfernt und nicht versteht, wie andere das anders tun können. Und die Liste lässt fortsetzen; sei es zum Thema Putzen von Treppenhäusern, Parken in der Gemeinschaftsstraße, jeder Form von lauten Geräuschen, lästigen Gerüchen und mehr. Nachbarschaft und - ich will’s erweitern - menschliches Zusammenleben überhaupt ist bunt und hält viele Überraschungen bereit. Und manches Verhalten ist mir derart fremd, da merke ich: Man muss nicht erst in ein Raumschiff steigen, um unbekannte Lebensformen und neue Zivilisationen zu entdecken - das geht bequem vor der eigenen Haustür.
Zum heutigen Antikriegstag möchte ich Ihnen ein Wort anbieten, das Ihnen in diesem Zusammenhang vielleicht nicht gleich einfällt: das Wort „heilig“. Mir hilft das Nachdenken über „das Heilige“ manchmal, andere zu verstehen.
Jeder Mensch hat irgendetwas, das ihm heilig ist. Etwas, das einem wichtig ist, weil es der Seele Kraft und Ruhe gibt. Das kann eine Sache sein, die man gerne tut. Oder ein Ort, an dem man gerne ist. Wer zwischendurch mal in einer offenen Kirche Platz nimmt, um für einen Moment zur Ruhe zu kommen, wird da vermutlich schnell von einem „heiligen Ort“ sprechen.
Es gibt aber sehr viel mehr heilige Dinge und heilige Orte, als wir auf den ersten Blick meinen. Manche Menschen machen in Fußballstadien heilige Erfahrungen. Manche sagen „meine Zeit mit der Familie ist mir heilig“. Und vermutlich ist dem Nachbarn mit der Nagelschere sein Rasen heilig, weil es ihm guttut, wenn dieser immer gleich aussieht.
Das Wort „heilig“ bedeutet im Ursprung in etwa „zueigen“ oder „zugehörig“ und bezeichnet einen abgegrenzten Bereich. Wenn mir etwas heilig ist, dann gehört es also zu mir; dann setze ich eine persönliche Grenze, die andere nicht überschreiten sollen. Ich darf diese Grenze haben. Und genauso gut dürfen auch andere selbst sagen, was ihnen heilig ist. Das Heilige meines Gegenübers zu erkennen und zu respektieren, verschafft mir manchmal etwas mehr Gelassenheit.
Für ein besseres Miteinander darf sich jeder fragen: Was ist mir eigentlich heilig? Und kann ich auch mal dem Heiligen des Anderen den Vortritt lassen?
In der Theologie ist natürlich häufig diskutiert worden, wer und was sich eigentlich „heilig“ nennen darf. Dabei gab auch es den Gedanken, dass etwas erst durch die Art des Umgangs heilig wird.
Ein Kirchraum etwa ist nicht heilig an sich, sondern er wird es durch die Erfahrung, die wir darin machen. Die Erfahrung, von etwas berührt zu werden, das größer ist als ich. Die Erfahrung, innerlich angerührt und bewegt zu werden von Gott und dabei mehr zu spüren als nur mich selbst.
Spüren Sie mal nach: Wenn Ihnen etwas heilig ist - was genau berührt Sie da? Ist es mehr als nur Sie selbst? Gar ein Hauch von Göttlichkeit?
Sie merken: Es gibt vielleicht auch einen Unterschied zwischen dem, was im Leben wichtig ist und dem, was heilig ist. Wenn wir mehr über das Heilige sprechen, nehmen wir Manches vielleicht auch nicht mehr so wichtig.
Quellen:
Manfred Josuttis, Vom Umgang mit heiligen Räumen, in: Thomas Klie (Hrsg.), Der Religion Raum geben. Kirchenpädagogik und religiöses Lernen, Münster 1998, S. 34-43.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze