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Sonntagskirche | 08.09.2024 | 08:55 Uhr

Oma Rita

Guten Morgen!

Frage: Kennen Sie Oma Rita? Nein? Oh doch, ehrlich: Ich bin ganz sicher, dass sie Oma Rita kennen. Oder zumindest kennen Sie das „Oma-Rita-Syndrom“. Diese eigenwillige Bezeichnung stammt von meiner Frisörin Annika. Bei ihr habe ich Oma Rita kennengelernt. Sie begegnet mir jedes Mal, wenn ich da bin. Etwa, wenn meine Frisörin nach dem Haarewaschen den Wasserhahn mit den Fingern abflitscht, damit da nicht so viel Wassertropfen drauf bleiben. Könnte ja Kalkflecken geben. Oder wenn sie die Deko wieder zurechtrückt, die ich beim Hinsetzen eben etwas verschoben hatte. Wenn sie die Kaffeetasse möglichst mittig und mit dem Henkel nach rechts vor mir abstellt.

Nichts im Frisörsalon ist dem Zufall überlassen.

Bei Oma Rita musste immer alles seine Ordnung haben, erzählt mir Annika. So hatte sie zum Beispiel einen extra Stiel - nicht den Besenstiel, der ist nur zum Fegen! - nein, einen extra Stiel, mit dem sie die Federbetten exakt gleich glattgestrichen hat. „So was ist irgendwie erblich“, erzählt Annika weiter: „Ich kann es einfach nicht lassen, direkt nach dem Essen den Tisch abzuräumen oder Gästen auch gerne mal das Tischset gerade zu rücken. Ich mag es ordentlich - aber manchmal ist es auch anstrengend für alle“, gibt sie zu. Das glaube ich sofort.

Jede von uns hat ein ganz eigenes „Oma-Rita-Syndrom“. Manche nennen es auch den inneren Monk. Für wieder andere sind es Rituale, und wenn es ausufert, wird es für Manchen auch zum Zwang.

Im Ursprung haben Rituale eigentlich ihren Sinn: Sie geben Halt und Orientierung. Auf diesem Hintergrund sind alle religiösen Rituale entstanden, wie etwa der immer gleiche Ablauf eines Gottesdienstes oder auch das gemeinsame Beten eines Vaterunsers am Grab. Solche Rituale stiften Gemeinschaft: Man tut etwas gemeinsam mit anderen und hat automatisch das Gefühl, dazu zu gehören.

In meinem Alltag als Pastorin erlebe ich allerdings auch, dass Rituale immer mehr verloren gehen. Klar: An vielen Stellen wirken kirchliche Rituale nicht mehr zeitgemäß und wer nicht mit ihnen vertraut ist, fühlt sich da dann eher fremd und ausgeschlossen.

Gleichzeitig ginge uns aber auch etwas verloren, wenn wir ganz auf sie verzichten würden.

Schon ein kleines Ritual kann Halt geben: Schon allein ein Vaterunser kann mich mit anderen verbinden, wenn ich weiß: das wurde gebetet bei meiner Taufe, bei der Hochzeit meiner Eltern, bei der Beerdigung von Oma. Wie wirkmächtig ist ein Gebet, das seit Jahrhunderten auf der ganzen Welt gesprochen wird - wer sich da einmal hinein fühlt, wird vielleicht neu erfahren, wie gut etwas Altes tun kann.

Ich selbst habe Menschen erlebt, die ihren eigenen Namen nicht mehr kannten - aber wenn ich mit ihnen ein Vaterunser gebetet habe, dann wussten sie die Worte und lächelten.

Klar: Rituale müssen nicht immer religiös sein. Die heute demente Oma Rita findet immer noch Halt in ihren Ordnungs-Ritualen und pflegt sie fröhlich gemeinsam mit ihrer Enkelin Annika. Lachend erzählt Annika: „Wenn Oma Rita auf eine Zimmerpflanze zeigt und ruft: `Da, das Blatt ist vertrocknet.` - dann stehe ich selbstverständlich sofort auf und befreie die Pflanze von ihrem Makel. Verrückt, oder?!“, meint sie. „Und hinterher frage ich mich: Warum mache ich das eigentlich?“ Nun, wahrscheinlich weil Rituale uns eben verbinden. Untereinander und mit Gott, je nachdem. In diesem Sinne: Grüßen Sie alle Oma Ritas von mir. Und vielleicht fragen Sie sich heute einmal: Welches Ritual gibt Ihnen eigentlich Halt? Schönen Sonntag!


Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze

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