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Sonntagskirche | 29.09.2024 | 08:55 Uhr
Wir sind älter geworden
Guten Morgen!
„Wir sind älter geworden“, sagt mein Nachbar im Aufzug auf dem Weg nach oben. Er sieht mein tragbares Sauerstoffgerät und erzählt mir, dass auch er nachts Sauerstoff nehmen müsse - wegen seiner Atemaussetzer. „Hauptsache Gesundheit!“, merkt er noch an. Ich erwidere: „Meines Erachtens ist das Wichtigste nicht die Gesundheit, sondern die Beziehung zum Schöpfer.“ Als wir unser Stockwerk erreichen, sagt er mir noch: „Ich bete jeden Abend, um mich bei Gott zu bedanken.“
Ein so tiefsinniges Gespräch habe ich bisher noch nicht mit meinem Nachbarn geführt. Vielleicht liegt das ja auch am Alter?
Sogar unserem Golden Retriever merkt man mittlerweile sein Alter an. So springt er nicht mehr so flott von seinem Liegeplatz auf.
Doch auch wenn wir alle älter geworden sind und es mittlerweile hier und da zwackt- und es ja auch ernsthafte und bedrohliche Erkrankungen geben kann, wie ich es derzeit erleben muss – so hat das Alter dennoch durchaus seine Vorteile. Man muss nicht mehr allem hinterherlaufen, man muss schon gar nicht mehr irgendjemandem beweisen, was man alles kann. Man lebt abgeklärter und wird auch irgendwie bescheidener und hoffentlich auch dankbarer.
Allerdings scheint sich bei vielen immer mehr eine Unzufriedenheit breit zu machen. Von Dankbarkeit ist nur wenig zu spüren. Die Menschen in den ostdeutschen Ländern fühlen sich vom Westen und vor allen Dingen von der Politik abgehängt. Die Bauern klagen über zu hohe Kosten und zu geringe Entlastung. Ähnliches kann man aus verschiedenen Industriebereichen hören. Auch in Pflegeheimen, Krankenhäusern, Schulen und Kitas ist man mit den Arbeitsbedingungen und der Entlohnung nicht zufrieden. Diese grassierende Unzufriedenheit schlägt sich im Wählerverhalten nieder und führte nicht nur bei der Europawahl zu einem Rechtsruck, sondern auch bei den drei Landtagswahlen im Osten der Republik.
Im Auftrag der Vereinten Nationen wird jedes Jahr die Zufriedenheit der Menschen analysiert. (1) 2024 war Finnland das glücklichste Land der Welt. Auf dem zweiten Platz lag mit Dänemark ein weiteres skandinavisches Land. Deutschland schaffte es in diesem Jahr nicht mehr in die Top-20 des Rankings und landete auf Platz 24. Ein Jahr zuvor befand sich Deutschland auf Platz 16. Im Jahr 2020 belegte die Bundesrepublik noch den siebten Rang. Anscheinend grassiert bei uns tatsächlich die Unzufriedenheit, während in den skandinavischen Ländern die Dankbarkeit überwiegt.
Vielleicht sollten wir – trotz aller empfundenen und tatsächlichen Defizite – einmal die Blickrichtung ändern und wahrnehmen, was es neben all dem an Gutem und Schönem in unserem Leben gibt. Mein Nachbar macht es tatsächlich richtig: Sich abends mit einem Dankgebet beim Schöpfer der Welt bedanken. Denn nichts in unserem Leben ist selbstverständlich. Ich lebe davon, dass Gott es gut mit mir meint. Daran erinnert mich jeden Tag der Name unseres Hundes. Itthai: „Gott ist mit mir“.
(1) letzter Zugriff 29.06.2024: Top 10 der glücklichsten Länder weltweit 2024 | Statista
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze