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Kirche in WDR 4 | 03.09.2024 | 08:55 Uhr
Oliver Cromwell – ein Mensch in seinem Widerspruch
Guten Morgen,
in jeder Familie gibt es wahrscheinlich wenigstens ein Mitglied, bei dem man sich nie einig wird: Ist dieses Familienmitglied großartig oder eher problematisch? Können wir stolz drauf sein, dass er oder sie zu uns gehört? Oder eher nicht? In der evangelischen Tradition ist Oliver Cromwell solch ein umstrittenes Familienmitglied. Am 3. September ist sein Todestag, und deswegen wird im Evangelischen Namenskalender heute an ihn erinnert.
In Großbritannien gilt er als Wegbereiter für die Herrschaft des Parlamentes gegenüber der Herrschaft des Königs. Deswegen wird er in einer Umfrage der BBC als zehnter unter den 100 „Great Britons“ - den bedeutenden Briten - gewählt. (1)
Oliver Cromwell zieht es zunächst nicht in die Politik. Während seines Studiums in Cambridge kommt er in Kontakt mit den protestantisch-reformierten Puritanern. Diese Erneuerungsbewegung der Kirche strebt danach, dass alle Lebensäußerungen, sei es in der Wirtschaft, in der Politik und auch in den Naturwissenschaften sich mit der Bibel begründen lassen. Oliver fühlt sich angesprochen von dieser neuen Bewegung. Schließlich versucht auch er sich auch selbst als Prediger. Er muss schon früher als geplant sein Studium beenden. Sein Vater ist gestorben und Oliver Cromwell geht zurück auf das Familiengut. Täglich hält er jetzt Andachten für seine Landarbeiter. Es verfestigt sich bei ihm der Glaube, dass „der Allmächtige zum Menschen redet – sodass der Gottesfürchtige seine Pflicht erkennt und auch in der Bedrängnis die Gewissheit festzuhalten vermag, dass er von Gott berufen und geführt ist.“ (2)
Mit 30 Jahren wird Oliver Cromwell ins Unterhaus gewählt, in einer Zeit, als der katholische König Charles I. versucht, ohne das Parlament zu regieren. Als er aber das Parlament wieder einberuft, um sich Gelder für einen Krieg gegen Schottland genehmigen zu lassen, fordert das Parlament mehr Freiheiten. Cromwell tritt in die Auseinandersetzung mit dem König ein und wird schließlich zur entscheidenden Figur in diesem Streit. Er wird von der immer größer gewordenen Gruppe der Puritaner unterstützt. Als es schließlich zum Kampf zwischen König und Parlament kommt, stellt Cromwell ein Heer auf, das sich vor allem durch seine geistliche Ausrichtung geeint weiß. Nach drei großen Bürgerkriegen in den 1640 er Jahren siegt die Parlamentsarmee auf den britischen Inseln. Es wird eine Verfassung durchgesetzt, in der die Monarchie nur noch sehr eingeschränkte Rechte hat. Aber dieser Sieg hat seinen Preis: Oliver Cromwell ist von einem frommen Prediger zu einem rücksichtlosen Militärstrategen geworden. Er hat das Todesurteil gegen den König unterzeichnet, und er ist auf grausame Weise gegen die Iren vorgegangen, die dem katholischen König die Treue gehalten haben. Oliver Cromwell – er gehört zur protestantischen Familie – aber er ist zu Recht umstritten.
Ich finde es sinnvoll auch heute noch an ihn zu erinnern, um daraus für unsere Zeit zu lernen, wie Glaube und Politik sich aufeinander beziehen können, aber auch voneinander zu unterscheiden sind. Ich persönlich glaube, dass es einem Staat guttut, wenn es Politikerinnen und Politiker gibt, die ihre Entscheidungen im Glauben an Gott verantworten. Diese Leute bewahren sich eine wohltuende Unabhängigkeit.
Aber was ich an der Geschichte von Oliver Cromwell begriffen habe: Niemals dürfen Politiker ihren Glauben einsetzen, um ihre Gegner zu vernichten. Der Glaube an Gott will das Leben fördern – nichts anderes.
Eine guten Tag wünscht Ihnen Ihr Eberhard Helling, Pfarrer aus Lübbecke.
(1) s. http://news.bbc.co.uk/2/hi/entertainment/2341661.stm (Umfrage von 2002, zuletzt abgerufen am 09.08.24)
(2) so in Jörg Erb, Die Wolke der Zeugen, Bd. 4, Johannes-Stauda-Verlag, Kassel, 1964, S. 251.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze