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Kirche in WDR 4 | 09.09.2024 | 08:55 Uhr
Die Last des Anderen
Heute ist wieder Montag, und weil heute Montag ist ist das Wochenende leider auch schon wieder vorbei. Tja. Und nicht nur das Wochenende ist vorbei, auch der Sommer neigt sich langsam dem Ende entgegen. Die Sonne steht schon tiefer, die Dunkelheit kommt früher und geht später. Und so langsam verschwinden auch all die schönen Sommergeschichten in der Erinnerung. Für mich eine der schönsten: Die vom dicken Bürgermeister Luciano Fregonese. Der ist seit zehn Jahren Chef der kleinen Gemeinde Valdobbiadene in Norditalien, zwischen Gardasee und Venedig. Und das hat Spuren hinterlassen. 50 kg Übergewicht hatte der Bürgermeister sich angefuttert. Termine, Termine! Hat er seufzend erklärt. Keine Zeit für Bewegung und Sport. Unregelmäßiges Essen, und das oft erst vorm Zubettgehen. Tja.
So sind 140 kg Körpergewicht zusammengekommen. Und dann hat einer in das Wort „panzone“ an eine Mauer im Ort geschmiert. Das bedeutet übersetzt – wenig schmeichelhaft - „Fettwanst“ und gemeint war damit Fregonese, der Bürgermeister. Und der? War nicht etwa beleidigt. Aber es hat ihn zum Nachdenken gebracht. Ein Freund hat ihn immer wieder gedrängt: „Heute Abend! Da gehen wir laufen! Los!“ Aber immer wieder hat der Bürgermeister eine Ausrede gehabt. „Sitzungen, Termine, Treffen – sorry, keine Zeit. Und dann ist da ja auch noch die Bürgersprechstunde!“ hat er gesagt. „Warum machen wir nicht beides zusammen?“ hat sein Freund entgegnet. „Bürgersprechstunde und Sport? Sag den Bürgern, sie sollen mit dir laufen gehen!“ Und so war eine wunderbare Idee geboren.
Zur ersten Bürgerlaufstunde sind 45 Menschen gekommen. Und dann jede Woche mehr und mehr, bis zu 200. «So viele Leute kommen, um mich anzufeuern, um mir den Willen zu geben, weiterzumachen“ hat der Bürgermeister gesagt. „Allein würde ich es ehrlich gesagt nicht schaffen.“ Aber auch über Angelegenheiten der Gemeinde sprechen sie. Dafür ist ein Bürgermeister ja da, auch bei der neuen Bürgerlaufstunde. Und Fregonese ist es auch wichtig, seinen Bürgern Mut zu machen, dass sie auch auf ihre Gesundheit achten. „Keiner soll sich für sein Übergewicht schämen,“ hat er gesagt. „Aber alle sollen verstehen: es ist nicht gesund. Lasst uns etwas dagegen machen.“
„Einer trage die Last des anderen. So erfüllt ihr das Gesetz, das Christus uns gibt“. An diesen Gedanken in der Bibel, den Paulus mal geschrieben hat habe ich denken müssen. Natürlich hat Paulus damals bestimmt nicht an Bürgermeister Fregonese gedacht. Aber auch Paulus müsste zugeben, dass sein Gedanke in der Bürgerlaufstunde ziemlich genial umgesetzt worden ist. Hier nehmen nun wirklich Menschen einander konkrete Lasten ab. Nicht durch Appelle und gute Ratschläge. Sondern durch konkretes Tun. Ist das nicht wundervoll? „Wir wollen nicht müde werden zu tun, was gut und recht ist. Denn wenn die Zeit da ist, werden wir die Ernte einbringen; wir dürfen nur nicht aufgeben“ schreibt Paulus weiter. „Solange wir noch Zeit haben, wollen wir allen Menschen Gutes tun.“ Und Lasten abnehmen. Wie Bürgermeister Fregonese und die Bürger von Valdobbiadene. Zu tun gibt es genug. Jeden Tag. Und nicht nur an einem Montagmorgen.