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Sonntagskirche | 20.10.2024 | 08:55 Uhr
Das kaputte Kleid
Ich habe schon morgens via Sendungsverfolgung gecheckt, dass heute mein Paket ankommen soll. Als es endlich klingelt, nehme ich es in Empfang. Es ist ein Paket von einer Verkaufsplattform für secondhand Klamotten. Ich habe für meine kleine Nichte ein Kleid bestellt. Weiß sollte es sein, mit schwingendem Rock und natürlich Glitzer. Laut Verkäuferin ist das Kleid in einem Top-Zustand. Ich entferne das Klebeband und öffne den Karton. Das Kleid ist drin, aber ist das wirklich weiß? Meine Vorfreude bekommt einen Knacks.
Vorsichtig nehme ich das Kleid komplett heraus und halte
es vor mich. Die Träger und das Oberteil sind eindeutig vielleicht früher mal
weiß gewesen, aber jetzt vergilbt. Auf dem Rockteil prankt ein Fleck. Das
allein ist aber noch nicht das ganze Drama. Da ist ein großes Loch direkt in
der Mitte des obersten Stoffes.
Meine
Vorfreude verwandelt sich sekundenschnell in Wut und Enttäuschung. Klar, ich habe
jetzt keine Unsumme für das Kleid bezahlt, aber umsonst war es eben auch nicht.
Top-Zustand! Das ist ja wohl ein Witz! Die Enttäuschung meiner Nichte male ich
mir schon aus. Wütend schnappe ich mir mein Handy, öffne die App und schreibe
eine empörte Nachricht an die Verkäuferin, in der ich das beschädigte Kleid beschreibe
und Fotos beifüge. Darauf kam –oh Wunder- bis heute keine Antwort.
Am nächsten Tag nehme ich das Kleid mit zu meiner Schwester und zeige ihr und meiner Nichte das Desaster. Doch anders als ich dachte, nimmt es meine Nichte ganz entspannt. Sie guckt mich nur achselzuckend an und sagt: „Naja, aber Conny, Du hast doch eine Nähmaschine und kannst gut basteln. Das bekommst Du schon hin.“ Und damit ist die Sache für sie erledigt: Tante Conny kriegt das schon hin.
Dieses unerschütterliche Vertrauen in meine Reparaturfähigkeiten rührt mich, macht mich aber auch sprachlos. Für meine Nichte war das kaputte Kleid keine Katastrophe, weil sie der Überzeugung war: Da gibt es wen, der das schon hinbekommt.
Oh man, wie gerne hätte ich selber heute noch dieses kindliche Vertrauen. Dieser unerschütterliche Gedanke, dass man alles übersteht, weil da jemand ist, der das schon hinbekommt, es zum Guten wendet. Für mich ist dieser jemand eigentlich Gott und ich würde schon sagen, dass ich einen festen Glauben habe. Aber ich habe auch Phasen, in denen mir mein Gottvertrauen kurz mal abhandenkommt. Dann ist da erstmal nix mit unerschütterlicher Zuversicht. Dann fließen Tränen und ja, auch das Gefühl von Verzweiflung kenne ich.
Aber ich glaube, auch das ist normal. Schon in der Bibel geht es ja nicht immer glatt und euphorisch zu in Sachen Glauben. Auch da wird gehadert und ja, auch mal gejammert.
Die Reaktion meiner Nichte auf das kaputte Kleid hat mich daran erinnert, wie kraftvoll Vertrauen ist. Das Vertrauen, dass da jemand ist, der größer ist als ich, das gibt Kraft. Daraus schöpfe ich Energie, genau die Energie, die ich brauche, um Herausforderungen anzugehen. Mein Gott hat sogar Talente und Fähigkeiten, die ich gar nicht begreifen kann und ja, er verspricht mir immer wieder: „Alles wird gut“, auch wenn sein „es wird gut“ nicht immer für mich zu erkennen oder zu verstehen ist. Gott hat mich im Blick, immer. Und vielleicht ist es manchmal dann auch nur das Vertrauen darauf, dass ich durch eine Krise nicht alleine gehen muss. Vertrauen in Gott, gibt mir Kraft und ist für mich persönlich schon sehr oft mein Lebensmotor gewesen.
Und jetzt noch mal zu dem kaputten Kleid: Meine Nichte jedenfalls hat mich mit ihrem Vertrauen in mich aus meinem Ärger geholt. Ich habe das Kleid gereinigt neuen Stoff besorgt und damit den Rock geändert. Nicht ganz ohne Stolz kann ich sagen, dass das Kleid mir jetzt sogar besser gefällt als vorher. Die Erinnerung an die Kraft das Vertrauens war für mich bei dem Ganzen aber noch viel wichtiger.