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Sonntagskirche | 27.10.2024 | 08:55 Uhr
Seelenbretter
Zusammen mit einer Freundin habe ich in unserer Kirche
letztens ein kreatives Abenteuer gewagt. Samstagmorgen kommen wir ins Gemeindehaus.
Es riecht nach Kaffee und frischem Holz. Im großen Saal sind schon Tische
aufgebaut und an jedem lehnt ein Holzbrett, circa 1,70m hoch, 30 cm breit. Vorne
auf einem langen Tisch stehen schon Acrylfarben, Pinsel, Schwämmchen, Teller
und verschiedene Dekorationselemente.
Claudia und Ulrike begrüßen uns und 18 weitere
Teilnehmer zum Workshop „Seelenbretter“.
Ulrike erzählt uns zuerst von der Entstehung der Seelenbretter. Die Idee stammt von der Künstlerin Bali Tollak. Sie war inspiriert von den sogenannten Totenbrettern, die im bayerischen und österreichischen Raum als Grabmale verwendet wurden, um an einen Verstorbenen zu erinnern. Diese Totenbretter findet man teils in Kirchen, aber auch in dieser Gegend einfach mal am Wegesrand. Die Künstlerin fand diese Bretter spannend, die ihr so spontan am Wegesrand begegneten. Die Bretter bringen einen dazu, kurz innezuhalten, sie zu betrachten und genau das fand sie gut: Innehalten, zur Ruhe kommen und vielleicht ein kurzes Gebet damit verbinden. Bali Tollaks „Seelenbretter“ sind ca 2m große Holzplanken, die sie dann bemalt. Dazu teilt die Künstlerin ein solches Brett in drei Bereiche. Oben und unten gibt es kulturübergreifende Symbole, Motive und in der Mitte einen Schriftzug. Der Text kann eine Bibelstelle sein, ein Liedtext, ein Gedicht, ein Zitat, einfach Worte, die ihr etwas bedeuten und die Mut und Hoffnung geben oder zum Nachdenken anregen.
Mittlerweile wird die Idee der Seelenbretter in vielen
christlichen Gemeinden in der Trauerpastoral eingesetzt. Unsere Kursleiterin
Ulrike erklärt, dass es dabei gar nicht unbedingt um den Tod eines nahen Menschen
gehen muss, sondern oft sind es auch die „kleinen Tode des Alltags“, die wir
verarbeiten müssen. Dies kann eine gescheiterte Beziehung sein, ein Umzug, der
Verlust des Arbeitsplatzes oder auch einfach ein neuer Lebensabschnitt. Etwas
endet, etwas Anderes beginnt.
Ulrike ermutigt uns, unsere eigenen Gefühle und Gedanken auf unser Brett zu bringen, egal wie, es gibt kein richtig, kein falsch, keine Vorgabe. Auf einem Tisch hat sie ein paar mögliche Schriftzüge ausgelegt, aber die meisten haben tatsächlich schon einen eigenen Text dabei.
Schnell kehrt eine konzentrierte Ruhe ein. Ich nehme mir zunächst etwas Zeit, mein Seelenbrett anzuschauen, die Maserung des Holzes wahrzunehmen. Ich weiß schnell, welche Farben ich brauche, denn in mir ist das Bild von Weite und Himmel. Also mische ich Blautöne, weiße und ein bisschen goldene Farbe. Ich setze die ersten Pinselstriche, füge nach und nach Details hinzu – feine Linien und Akzente.
Während des Malens spüre ich, wie ich immer mehr in den kreativen Prozess eintauche. Es ist irgendwie meditativ, die Farben zu mischen und Schicht für Schicht aufzutragen. Ulrike kommt regelmäßig vorbei, gibt Tipps und beantwortet Fragen. Ihre positive und unterstützende Art hilft mir, Unsicherheiten und ja vielleicht auch Hemmungen zu überwinden und mich ganz auf meine Arbeit einzulassen.
Nach einer ganzen Weile legen wir eine Pause ein und tauschen uns über unsere bisherigen Fortschritte aus. Es ist faszinierend, wie unterschiedlich die Seelenbretter aller Teilnehmer werden – jedes ein einzigartiger Ausdruck individueller Persönlichkeit und Geschichte.
Am Ende des Tages präsentieren wir unsere fertigen Seelenbretter und erzählen ein wenig über deren Bedeutung und den Entstehungsprozess. Die Vielfalt und die persönlichen Geschichten hinter jedem Brett haben den Workshop zu einem besonderen Erlebnis gemacht.
Der Workshop war für mich nicht nur ein künstlerisches Experiment, es war auch eine Reise zu mir selbst und auch wenn sich das vielleicht kitschig anhört: es war auch eine andere Begegnung mit Gott: Ein Gebet ohne Worte.