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Kirche in WDR 4 | 17.10.2024 | 08:55 Uhr
Perspektivwechsel
Guten Morgen.
Manchmal muss man Dinge vom Kopf auf die Füße stellen, um was zu kapieren. Jesus macht das ganz gerne und überrascht damit. Zum Beispiel mit diesem Satz aus seiner berühmten Bergpredigt: „Glücklich sind / selig sind, die arm sind vor Gott. Denn ihnen gehört das Himmelreich.“ (Die Bibel, Matthäus 5,3)
Mit insgesamt neun solcher, überraschender Sätze beginnt Jesus seine Predigt auf dem Berg. Und schon dieser erste Satz: „Glücklich sind / selig sind, die arm sind“ zeigt mir: Gott scheint andere Wertvorstellungen zu haben als ich. In unserer Gesellschaft denken wir in der Regel nicht so positiv über Armut. Und angesichts wachsender Armut bei uns klingt Jesu Satz auch eher zynisch. Jesus meint in seiner Predigt aber keine materielle Armut im Gegensatz zu Reichtum. „Arm vor Gott“ zu sein bedeutet bei Jesus erst einmal: Ich bin mir meiner eigenen Bedürftigkeit bewusst. Ich weiß: Ich kann nicht alles alleine. Ich brauche immer wieder Hilfe. Tatkräftige Hilfe von meinen Mitmenschen. Und Hilfe für die Seele.
Meist leben wir anders: Materielle Sicherheit steht oft an erster Stelle. Ich genüge mir selbst. Meine eigene Absicherung ist mir wichtig, ich glaube mit Geld gelingt mir das. Armut wird dagegen in unserer Gesellschaft als Makel oder als Versagen angesehen. Jesus aber dreht die Perspektive um, stellt meine Ansichten vom Kopf auf die Füße. Gesegnet sind die, die sich ihrer Bedürftigkeit und Schwachheit bewusst sind. Und so vor Gott stehen.
Gesegnet sind die, die sich auf Gott verlassen, die ihm etwas zutrauen, die ihm einen Platz in ihrem Leben geben. Ihnen gehört das Himmelreich.
Ob ich arm bin oder reich, vor Gott sind wir alle arm. Ich bin arm, weil ich auf ihn angewiesen bin. In jedem Leben gibt es Momente und Situationen, in denen wir nicht alleine zurechtkommen. Tage an denen ich Trost brauche. Wo das, was ich habe, nicht zählt und nicht hilft. Sondern wer bei mir ist und ob ich einen Seelenanker habe.
Aber nicht nur diese persönliche Perspektive ist wichtig. Es gibt auch eine gesellschaftliche Dimension in diesem Satz von Jesus. Jesus segnet die Armen und stellt sie so in die Mitte der Aufmerksamkeit. Er stellt einen Auftrag an mich und an uns als Gesellschaft. Verliert die Armen nicht aus dem Blick. Sie sind Gottes Herzen nah. Und wenn du deine Bedürftigkeit erkennst, fühlst du vielleicht, wie nah ihr euch seid. Soziale Ungleichheit prägt unsere Gesellschaft. Immer mehr leben in Armut, vor allem Kinder in unserem Land. Auch in meiner direkten Nachbarschaft. Sie kämpfen um das Nötigste. Wie gehe ich damit um? Nichts mit Verbundenheit. Aus Scham guck ich oft weg. Es ist viel leichter, mich um die Dinge zu kümmern, die mich direkt betreffen. Den Blick auf die zu richten, die Hilfe brauchen, ist viel schwerer.
Aber die Botschaft Jesu ist ganz klar: Schau hin. Wechsel mal die Perspektive. Erinnere dich: Du bist bedürftig. Dein Leben hängt - wie das Leben aller - davon ab, dass du das Nötigste zum Leben hast.
Dass du Liebe schenkst und geliebt wirst. Dass du weißt: Du kannst dich an Gott wenden, wenn dir alles entgleitet. Er ist dir nah. Wie deine Geschwister, die in Armut leben. Hilf ihnen zu einem Einkommen, mit dem sie leben können, Chancen haben und ihre Fähigkeiten entfalten können. Ich sage dir: Ihnen ist ein besonderer Platz bei Gott schon gegeben. Sie sind Gesegnete. Begegnet einander als Gesegnete. Mit Liebe und Respekt.
Einen gesegneten Tag mit heilsamen Perspektivwechseln wünscht Ihnen,
Ihr Pfarrer Oliver Mahn aus Köln.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze