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Kirche in WDR 4 | 02.11.2024 | 08:55 Uhr
Allerseelen
Guten Morgen!
Spaziergänger und Joggerinnen, Hundefreunde und junge Eltern mit Kinderwagen, Jugendliche und sogar Fans der digitalen Pokémon-Jagd: Sie alle begegnen einem hier. Ebenso wie Trauernde. Auf meinem Lieblingsfriedhof im Dortmunder Osten. Der ist meist ein lebendiger Ort, im Sommer wird auf mancher Wiese sogar gepicknickt.
1876, vor beinahe 150 Jahren, hat man ihn eröffnet. Die Dortmunder Bürger sollten in Zeiten wachsenden Wohlstands einen würdigen Ort haben, um der Toten zu gedenken. Und so gibt es dort jetzt ausladende Grabstätten mit meterhohen Monumenten, lyrische Inschriften auf kunstvollen Steintafeln, kostbare Skulpturen und breite Alleen. Das Gedächtnis der Verstorbenen war eine reiche Kunst zum Ende des 19. und zum Beginn des 20. Jahrhunderts. Wer zu Lebzeiten in Bergbau, Brauwesen oder Stahlindustrie sein Vermögen gemacht hatte, der zeigte das auch nach dem Tod.
Besonders angetan hat es mir auf meinem Lieblingsfriedhof eine der großen Familiengruften, mit zwölf oder vierzehn einzelnen Gräbern. In die vier Ecken der prächtigen Einfriedung haben die Erbauer steinerne Bänke hauen lassen. Die Botschaft ist klar: Nimm Platz, Besucher, verweile, gedenke, entsinne dich derer, die vorangegangen sind, und bedenke dein eigenes Sterben. Setz dich ruhig für eine Weile zu den Toten – bevor du wieder gehst. Und eines Tages wiederkommst. Und bleibst.
Gehen Sie noch auf den Friedhof? Besuchen Sie die Gräber Ihrer Vorfahren und Angehörigen? Regelmäßig?
Was mich betrifft: Ich habe durch meinen Beruf viele Stunden, Tage, vermutlich Wochen und Monate auf Friedhöfen verbracht. Habe schon als Jugendlicher musiziert bei Beerdigungen. Ich mag Friedhöfe, wo immer ich hinkomme im Urlaub und auf Reisen, gehe ich dorthin. Man kann dort viel lernen über die Menschen, über das Leben und seine Grenzen.
Zugleich allerdings geht es mir wie vielen Menschen heute: Ich wohne weit weg von den Gräbern meiner Eltern, erst recht meiner Großeltern. Mir ist nicht möglich, was Generationen vor uns ganz selbstverständlich getan haben: Die Toten der Familie manchmal täglich, mindestens doch einmal in der Woche zu besuchen. Keine Chance, beim besten Willen nicht.
Wie gut, dass es Tage wie diesen gibt. Allerseelen. So heißt der Tag im Kirchenjahr der Katholiken. Ein Hochfest als „Tag des Gedenkens an alle verstorbenen Gläubigen“. Seit mehr als 1.000 Jahren gibt es diesen Feiertag – und seit Jahrhunderten ist es Brauch, an die Gräber zu gehen, sie mit Blumen, Gestecken und Lichtern zu schmücken. Ganz so, wie wir Protestanten es am Totensonntag in drei Wochen tun. Das mit den Lichtern haben wir übrigens erst lernen müssen von den Katholiken – gut so.
Ein Bestatter hat mir vor Jahren gesagt: „Wie die Menschen mit ihren Verstorbenen umgehen, verrät viel über den Umgang mit den Lebenden.“ Da ist etwas dran. Orte für die Trauer und das Gedenken sind Zeichen der Menschlichkeit - und des Respekts vor dem Leben. Gehen Sie mal hin. Heute oder in den nächsten Tagen – der November lädt dazu ein.
(Ende WDR 4, Verabschiedung für WDR 3 und 5: )
Es grüßt Sie, Ulf Schlüter aus Bielefeld.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze