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Kirche in WDR 4 | 12.11.2024 | 08:55 Uhr
Lesen
Guten Morgen zum geistlichen Training gegen den November-Blues.
Heute: Lesen.
An trüben Herbsttagen nehme ich gern ein Buch, kehre der Welt für eine Zeit den Rücken – und lese.
Lesen ist allgemein wichtig. Es gefährdet meine Dummheit.
Noch mehr das Lesen der Bibel.
Es gefährdet meine Hoffnungslosigkeit.
Ich lese regelmäßig in den alten biblischen Geschichten. Klar, gehört zu meinem Beruf.
Doch ich lese sie, weil sie mir guttun. Deswegen bin ich Pfarrer geworden.
Sie öffnen mir einen heilsam anderen Blick auf mich selbst, das Leben, die Welt.
Und das Lesen in der Bibel hilft mir, rauszukommen aus meiner Bauchnabelschau, als wenn es nur mich, meine Sorgen und Wünsche gäbe.
Da lese ich vom leidenden
Hiob, dem alles genommen wird:
Kinder, Gesundheit, sein ganzer Besitz.
Und der nun mit Gott streitet, den Tag seiner Geburt verflucht, die ganze Schöpfung umkehren will, sich mit seiner Frau und seinen Freunden überwirft – und doch am Ende von Gott Recht bekommt.
Ich lese von Abraham und Sara.
Sie haben keine Kinder. Doch noch im hohen Alter brechen sie auf in ein Land, das
einmal ihren Kindern gehören soll. So verheißt Gott es ihnen.
Sie glauben, zweifeln, hoffen, hadern. Und erfahren am Ende: Bei allem leitet
und segnet sie Gott – und hält sein Versprechen.
Ich lese in der Bibel von mutigen Prophetinnen und Propheten.
Sie klagen die soziale Ungerechtigkeit ihrer Zeit heftig an:
Weil die Reichen das Recht
beugen, ein Haus an das andere reihen und den Armen keine Luft zum Atmen
lassen.
Und sie reden zugleich tief berührend von Gottes kommendem Friedensreich:
„Da wird der Wolf beim Lamm wohnen und der Panther beim Böcklein lagern.
Kalb und Löwe werden miteinander grasen, und ein kleiner Knabe wird sie leiten.“ (Die Bibel, Jesaja 11,6)
Beim Lesen der biblischen Geschichten werde ich Teil einer großen Erzählgemeinschaft von über dreitausend Jahren.
Gott hat eine Geschichte mit seiner Schöpfung, mit seinem Volk Israel und mit uns heute.
Aus diesen Geschichten haben Menschen immer wieder Kraft und Hoffnung geschöpft.
Ich brauche solche Texte, weil es Wahrheiten gibt, die ich mir nicht selber sagen kann.
Das ist wie bei einer Liebeserklärung: „Ich liebe dich.“ Wie bei einem Urteil: „Du bist frei.“ Wie beim Glauben, wenn Gott sagt: „Du bist gesegnet. Ich bin mit Dir.“
Die biblischen Geschichten sind gut gegen November-Blues, weil sie genau davon handeln. Wunderschöne Botschaften an mich, die Licht in meine Seele bringen.
Vielleicht haben Sie Lust, mal selbst in der Bibel zu lesen. Es gibt ganz verschiedene Ausgaben – für Einsteiger eignen sich solche, die mehr in heutiger Sprache geschrieben sind.
Und oft reicht schon ein Vers, um anders durch den Tag zu gehen.
Heute möchte ich Ihnen gerne
einen solchen Satz schenken - vom Propheten Jesaja:
„Durch Stillesein und Vertrauen werdet ihr stark sein.“
Ich bin gespannt von Ihren Leseerfahrungen zu hören – ob in der Bibel oder anderen Texten, die Sie stärken. Schreiben Sie mir gerne.
Ihnen einen gesegneten Tag!
Thorsten Latzel, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland aus Düsseldorf.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze