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Kirche in WDR 4 | 29.11.2024 | 08:55 Uhr
Schichtwechsel
Guten Morgen!
Der Weg zur Arbeit führt mich nicht wie üblich in mein Büro nach Gladbeck. Heute ziehe ich Arbeitsschuhe und eine warme Jacke an und fahre nach Dorsten ins Werkhaus III. Das ist eine Werkstatt für Menschen mit und ohne Beeinträchtigung, die zu unserem Diakonischen Werk gehört. Da werde ich heute arbeiten – und meinen Arbeitsplatz tauschen.
Mitte Oktober war das – da war „Schichtwechsel“, ein deutschlandweiter Aktionstag, der auf die Werkstätten und ihre Beschäftigten aufmerksam macht. An diesem Tag tausche nicht nur ich den Arbeitsplatz: Der Chef eines Autohauses, ein Zeitungsredakteur, eine Radiomoderatorin, die Bürgermeisterin – sie alle machen mit. Und ein Mensch mit Beeinträchtigung übernimmt in der Zeit meine Arbeit.
Gegen neun Uhr komme ich im Werkhaus an. Bei einem Kaffee erzählt der Werkstattleiter von seinen Mitarbeitenden und den Arbeiten. Im Werkhaus III arbeiten Menschen mit psychischen Erkrankungen. In der Werkstatt werden sie auch geschult und fortgebildet: Sie lernen Gabelstaplerfahren oder wie ein Lager funktioniert. Sie lernen kleine und große Maschinen zu bedienen und sich auf Qualität zu konzentrieren.
Ich beginne an einem großen Tisch mit Plastikteilen, die zusammengesteckt und kontrolliert werden müssen. Später werden Duftsprüher daraus, die auf der Toilette oder im Keller für gute Luft sorgen sollen. Mit mir am Tisch sitzt Jürgen, der das doppelt so schnell kann wie ich. Er sagt: „Bei dieser Arbeit kann ich gut entspannen und mein Kopf kommt runter.“ Hinten in der Halle werden Drucker repariert. Eine Firma leitet die Rückläufer ans Werkhaus weiter: Einfache Fehler können die Mitarbeitenden sofort beheben. Ich würde verzweifeln, doch die Kollegen bleiben ruhig und gehen systematisch alle Fehlerquellen durch.
Braucht jemand eine Pause, nimmt er sie. Langweilt die Arbeit, hilft man in einer anderen Abteilung mit. Der Hund einer Sozialarbeiterin freut sich, wenn jemand einen Spaziergang machen möchte. Und beim Mittagessen sagt eine Frau: „Das ist eine gute Arbeit hier.“
Mich berührt das: Arbeit, bei der man nicht krank wird, sondern gesund bleiben und werden kann. Kolleginnen und Kollegen, die sich nichts vormachen, sondern mit ihrer Erkrankung und ihren Grenzen offen umgehen. Da können wir viel lernen in unseren Kirchen, Autohäusern, Redaktionen und Rathäusern.
In der Bibel gehört die Arbeit zum Leben dazu. Ein Psalmbeter lobt Gottes Schöpfung und sagt: „Nun macht sich der Mensch ans Werk und tut seine Arbeit bis zum Abend.“ Das Werk
der eigenen Hände, das gehört zur Schöpfung dazu.
In der Zwischenzeit war übrigens Werner Strecker aus Bottrop an diesem Tag als Pfarrer unterwegs. Er fährt Rollstuhl. Morgens hat er eine Jugendeinrichtung und eine Kita besucht, bevor er dann in meinem Gladbecker Büro Kaffee getrunken hat. Das gehört auch dazu.
Und das wünsche ich Ihnen heute: Gute Arbeit – und genug Pausen.
Ihr Steffen Riesenberg, Pfarrer in Bottrop.
Quellen:
Bibeltext: Psalm 104,16, zitiert aus der Basisbibel
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze