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Sonntagskirche | 24.11.2024 | 08:55 Uhr
Stark wie der Tod
Guten Morgen.
Es duftet nach Kaffee. Aus der Küche ist Klappern zu hören, der Koch bereitet das Abendgeschäft vor. Draußen kommen Menschen von der Arbeit, gehen mit ihrem Hund spazieren, Getränke werden angeliefert. Manchmal wehen Worte und ein Lachen ins Café hinein, in dem wir sitzen. Wir haben ein paar Tische zusammengestellt, darauf stehen Wassergläser und Cappuccino-Tassen. Einige haben Käsekuchen bestellt. Wir dürfen vor der allgemeinen Öffnungszeit hier sein. Zum Trauercafé, das wir von der evangelischen Kirchengemeinde anbieten. Mitten im Veedel. Im Café. Mitten im Leben. Denn da gehört die Trauer hin.
Manche am Tisch kennen sich von früheren Treffen. Andere sind zum ersten Mal hier. Wir duzen uns. Das war irgendwie klar. Alle hier teilen die Erfahrung, dass in den letzten Monaten oder Jahren ein naher Mensch gestorben ist.
Ich merke: Alle am Tisch wissen, wovon die anderen sprechen. Nach und nach erzählen sie von den Menschen, die sie vermissen, und davon, wie sie jetzt gerade durch die Tage kommen. Eine erzählt von ihrem Geburtstag, den sie zum ersten Mal ohne ihren Vater feiern muss. Einer war das erste Mal nach dem Tod seiner Frau im Urlaub. In den Gesichtern der anderen ist zu erkennen, dass sie mitfühlen, wie viel Schmerz das bedeutet, und auch wie viel Mut und Kraft es braucht, diese Schritte zu gehen. Eine andere hat sich diese Woche krankschreiben lassen. Nach dem Tod eines guten Freundes fehlt ihr die Konzentration für die Arbeit. Die anderen nicken. Diese Facette der Trauer kennen sie auch.
Das Trauercafé ist ein sehr lebendiger Ort für Trauer. Die Trauer gehört zum Leben dazu. Kaum jemand bleibt davon verschont. Trauer ist individuell und vielfältig. Und sie ist nichts, was schnell vorbeigeht. Sie dauert oft lange, manchmal bis ans Ende des eigenen Lebens. Und sie verändert sich im Laufe der Jahre und manchmal auch von Stunde zu Stunde. Sie kommt in Wellen. Ein Jahrestag, eine Erinnerung, ein Lied im Radio – und dann ist eine Welle plötzlich so heftig, dass sie mich mitreißt. Das kann im Supermarkt passieren oder mitten in einer Besprechung. Es ist heilsam, anderen von solchen Momenten erzählen zu können.
Ab und zu greift jemand nach einem Taschentuch. Tränen fließen. Manchmal kommt auch Wut hoch oder Enttäuschung. Ab und zu bricht sich gemeinsames Lachen Bahn. Es ist nicht nur der Schmerz im Raum, sondern - wenn ich genau hinfühle - sehr viel Liebe. Trauer und Liebe gehören zusammen.
„Stark wie der Tod ist die Liebe.“ Ein Satz aus dem Hohenlied der Bibel. (Die Bibel, Hoheslied 8,6)
Liebe überdauert den Tod.
Die Liebe bleibt. Aber wohin mit der Liebe, wenn der geliebte Mensch nicht mehr da ist. Es gibt viele Möglichkeiten, wie die Verstorbenen im Leben präsent bleiben können, wie man ihrer liebevoll gedenken kann.
Dazu gehört es, von ihnen zu erzählen. Zum Beispiel in einem Trauercafé.
Ich wünsche Ihnen einen liebevollen und stärkenden Sonntag.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze
