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Kirche in WDR 4 | 07.11.2024 | 08:55 Uhr
Trumps Wahl und Luthers Apfelbaum
Als gestern Morgen klar war, dass Trump gewonnen hat, da hätte ich mich am liebsten wieder in Bett gepackt. Ich musste mich erstmal sortieren, musste meine Sprache finden und dann: musste ich irgendwas machen.
Also bin ich in die Küche gegangen und habe das Plastiktütchen gesucht, das da seit Wochen liegt. Darin, eingewickelt in Küchenpapier: Apfelkerne.
Die Kerne stammen von einem Apfel, den ich Ende August in den USA geschenkt bekommen hab; in El Rito, New Mexiko. Der Ort liegt mitten im Nirgendwo – an den Ausläufern der Rocky Mountains. Ich war da, weil vor fast 100 Jahren mein Urgroßonkel dort Pfarrer gewesen ist. In der Sakristei hab ich sogar noch Messgewänder gesehen, die er damals aus Deutschland mitgenommen hatte. Das hatte mich berührt. Auch das Pfarrhaus zu sehen, in dem mein Urgroßonkel fast 20 Jahre gelebt hatte. Manches hat sich nicht geändert. Noch immer heizt der jetzige Pfarrer mit Holz. El Rito ist eine arme Gegend. Das gibt’s auch in den USA. Und als ich dem Pfarrer Weihrauch vom Kölner Dom schenkte, da wollte der mir etwas zurückgeben. Und weil er nichts hatte, gab er mir einen Apfel von dem alten Baum, der vor dem Pfarrhaus steht. Wahrscheinlich hat schon mein Urgroßonkel unter diesem Apfelbaum gesessen. „Manchmal fällt der Apfel eben doch etwas weiter vom Stamm“, dachte ich schmunzelnd in dem Moment und hab den Apfel mit nach Deutschland genommen. Und ich hab damals gedacht an einen Satz, der Martin Luther zugeschrieben wird:
„Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.“[1]
An genau diesen Satz hab ich gestern wieder gedacht. Das waren mit die ersten Worte in meinem Kopf, nachdem mir Trumps Sieg die Sprache verschlagen hatte. Und ich bin in die Küche gegangen und habe die Kerne, die ich aus dem geschenkten Apfel entnommen hatte, mit Erde umgeben, damit sie keimen. Das hatte ich gegoogelt, dass man das so macht.
Gegoogelt hatte ich auch das vermeintliche Luther-Zitat. Und siehe da: Der Satz stammt gar nicht von Luther! Er taucht das erste Mal auf am 5. Oktober 1944 in einem Rundbrief[2]. Geschrieben hatte den der evangelische Pfarrer Karl Lotz. Der gehörte zur Bekennenden Kirche, die mutig sich gegen das Nazi-Regime gestellt hatte. Pfarrer Lotz hat damals geschrieben: „Lassen Sie sich (…) angesichts der gespannten Lage unseres Volkes nicht verdrießen. Wir müssen uns nach dem Lutherwort richten: Und wenn Morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.“
Woher Pfarrer Lotz das vermeintliche Luther-Zitat hatte, darüber kann nur spekuliert werden. Jedenfalls haben diese Worte eine enorme Kraft entwickelt damals, in den schlimmsten Wirren des Zweiten Weltkriegs. Und vor allem danach. Luthers Satz vom Apfelbäumchen wurde quasi zum Leitsatz, als Deutschland beim Wiederaufbau aus den Ruinen angepackt hat[3].
Das alles hat mich gestern bewegt. Der Satz ist ja so schön, weil daraus ein unbändiges Hoffen spricht. Und weil er so zupackend ist. Und dass er erstmals von einem Pfarrer der Bekennenden Kirche dokumentiert ist, das passte gestern umso mehr. Meine Ahnung, worauf es ankommt in diesen Zeiten: Hoffen, Zupacken, Bekennen. Apfelbäumchen pflanzen.[1] https://www.luther2017.de/martin-luther/geschichte-geschichten/luther-und-das-apfelbaeumchen/index.html
[2] https://www.kirchenzeitung.at/site/archiv/article/978.html
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Luthers_Apfelb%C3%A4umchen