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Kirche in WDR 4 | 02.12.2024 | 08:55 Uhr
Die Einbeinigen von Wipperfürth
Heute ist wieder Montag, und weil heute Montag ist ist das Wochenende leider auch schon wieder vorbei. Tja. Ich hoffe, Ihr Wochenende war so toll wie meins. Denn ich habe mich mit meinen ehemaligen Mitschülerinnen und Mitschülern getroffen, mit denen ich vor sage und schreibe 35 Jahren Abitur gemacht habe. Tja.
Und es war so, wie es bei Klassentreffen vermutlich immer ist: Bei manchen musste ich lange überlegen. Bist dus, Sascha? Andere habe ich sofort wiedererkannt. Zum Beispiel Stefan. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass er in der Schule jemals mies drauf war. Und auch jetzt ist die Tür aufgegangen und ein Strahlemann hat den Raum betreten.
Stefan ist ein bisschen später gekommen. Denn eine seiner
Mannschaften hatte noch ein Fußballspiel. „6 zu zwei verloren“ hat er gelacht.
„Die verlieren immer. Macht aber nichts. Nachher haben wir noch in der Kabine
gesessen und eine Cola getrunken. Und die Spieler haben gelacht und gesagt:
Nicht schlimm, dass wir verloren haben. Es war trotzdem schön.“ Seit 25 Jahren
arbeitet Stefan ehrenamtlich als Jugendtrainer beim VfR Wipperfürth. 25 Jahre!
12 Stunden pro Woche! Ich hab das mal für Sie ausgerechnet: Das sind 52 Wochen
mal zwölf Sunden mal 25 Jahre – fast zwei Lebensjahre hat Stefan schon in sein
Ehrenamt gesteckt! Jeden Tag trainiert er Kinder und Jugendliche. Bei Hitze,
Regen oder Kälte: Jeden Tag ist er an den Ohler Wiesen anzutreffen, setzt
Hütchen auf, trainiert Pässe, Ecken und Freistöße. Es sind nicht irgendwelche
Kinder und Jugendliche: Stefan trainiert vor allem die Menschen, die seit 2015
eben auch in Wipperfürth leben: Afghanische, syrische und iranische Kinder.
Kinder, die vor Armut, Gewalt und Bürgerkrieg auch ins Bergische Land gespült
worden sind. „Das sind oft die, um die sich keiner kümmern will“ sagt Stefan.
„Nicht alle haben Talent, die werden nicht aufsteigen, meistens verlieren sie –
aber die Begeisterung, mit der sie spielen ist sensationell.“ Neulich habe er
den Vereinsbus mal nicht bekommen, um mit einer Mannschaft zum Auswärtsspiel zu
fahren. Da wollte er das Spiel absagen und die Punkte herschenken. Aber die
Jugendlichen wollten
davon nichts
wissen. „Wir fahren mit dem Linienbus!“. Gesagt, getan. Ellenlange Gurkerei
über die Dörfer, gespielt, hoch verloren, egal. Nachher wieder eine Stimmung in
der Kabine wie nach dem Weltmeistertitel. „Die Jungs sind unglaublich“ sagt
Stefan. Und wieder lacht er. Einmal hätten die Kinder aus einer Mannschaft
zusammengelegt und ihm etwas zu Weihnachten geschenkt. Da sei er sprachlos
gewesen. „Du bist der einzige, der sich um uns kümmert!“ hätten sie gerufen.
Manchmal sagen ihm Menschen, wenn er wieder mal auf dem Trainingsplatz steht:
„Na, trainierst du wieder deine Einbeinigen? Warum machst du das bloß? Du wirst
mit denen nie was erreichen!“ Dann lacht Stefan und denkt: „Ihr habt doch keine
Ahnung!“
„Die nächste Geschichte, die ich im Radio erzähle ist deine Geschichte, Stefan!“ Am ersten Montag im Advent. Hab ich ihm versprochen. „Menschen, die ihr wart verloren, lebet auf, erfreuet euch!“ Singen wir bald wieder. Stefan lebt das. Denn Stefan lebt Weihnachten. Seit 25 Jahren. Jeden Tag. Und nicht nur an einem Montagmorgen.