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Kirche in WDR 4 | 12.02.2025 | 08:55 Uhr
Lieben üben
Vor einigen Monaten war ich für einige Tage in einem Kloster – Zeit in Stille. Als Vielrednerin brauche ich das immer mal wieder. Exerzitien heißt das in der Sprache der christlichen Spiritualität.
Die Tage sind dann immer sehr klar strukturiert –
Spaziergänge, Gottesdienste. Ich sitze lange im Mediationsraum und gehe einem
Satz aus der Bibel nach, den ich mir für diesen Tag vorgenommen habe. So ist es
idealerweise. Tatsächlich geht mir dabei oft alles Mögliche durch den Kopf.
Irgendeine Mail, die ich noch schreiben muss oder die Frage, wann ich meine
Küche streiche, so fleckig, wie die Wand hinterm Herd inzwischen ist. Es ist
also meistens eine wilde Mischung aus tiefspirituellen Gedanken und Alltagskram.
Wobei ich gar nicht mal sagen würde, dass das ein Gegensatz ist. Im Gegenteil.
Ich habe schon oft erlebt, dass ich Antworten auf meine tiefsten Fragen nicht
im Mediationsraum bekomme, sondern irgendwo zwischen Suppe und Kartoffeln.
Theresa von Avila, die berühmte Heilige kannte das auch. Sie erzählte von
Gotteserfahrungen zwischen den Kochtöpfen. So gesehen, bräuchte es die Zeit im
Kloster gar nicht. Und dennoch: Das sind besondere Tage für mich. Immer wieder
kommt mir da ein Gedanke, der mich weiterbringt. Mal durch biblische
Geschichten, mal in der Natur. Diesmal waren es Menschen, die mich genervt
hatten. Nicht alle gehen nämlich zum Schweigen in dieses Kloster. Nicht wenige
kommen, um Leute kennenzulernen, die womöglich ähnlich ticken. Wann immer ich
mit einer Tasse Kaffee irgendwo saß, bekam ich deutlich zu spüren, dass ich
hier nicht allein bin. Da war die Frau mit den Klackerschuhen. Wirklich laute
Klackerschuhe! Die klackerten andauernd auf dem Parkett. Und dann die Frau, die
so unfassbar laut redete. Als wolle sie alle im Haus unterhalten und nicht nur
die, die mit ihr am Tisch saßen. Und dann der Mann im Speiseraum. Er bat
ständig um Extrawürste. In Form von tiefen Tellern zum Beispiel, wenn es flache
gab, er fragte nach speziellen Gewürzen, die nicht auf dem Tisch standen, nach
einem zweiten Kissen für die Stühle. Er verschob alle halbe Stunde
Terrassentische in die Sonne und, und, und. Wann immer ich einen von den Dreien
sah, musste ich tief durchatmen. „Was erlauben die sich…?“ Und dann, in einem
dieser Momente kam mir der Gedanke: Genau: Die erlauben sich was! Und was davon
würde ich selbst vielleicht auch gerne mal machen, erlaube es mir aber
nicht?
Diese Frage hat meinen Blick komplett verändert. Wann immer einer von den Dreien mich wieder tief durchatmen ließ, hab ich mich gefragt: Was davon erlaube ich mir nicht, obwohl es vielleicht mal ganz schön wäre?
Der Mann zum Beispiel: Der hat gut für sich gesorgt und einfach mal gefragt. Die Frau mit den Klackerschuhen: Sie fühlte sich wohl mit ihren hohen Absätzen und ich glaube, sie wollte, dass wir das auch sehen – und hören. Und die laute Rednerin hat es sichtlich genossen, im Mittelpunkt zu stehen. Nichts davon würde ich eins zu eins genauso tun wollen, wie die drei. Aber so ähnlich vielleicht schon.
Gott spricht wirklich auf sehr unterschiedliche Weise zu uns. In diesen Tagen durch drei Menschen, die mir gezeigt haben, wie das gehen kann, mit dem Lieben-Üben. Sich selbst und die anderen, Sogar und gerade weil die sich was erlauben.