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Kirche in WDR 4 | 20.03.2025 | 08:55 Uhr
In den Morgen schwimmen
Guten Morgen!
Der Zeiger der großen Uhr in der Schwimmhalle springt gerade auf 7.30 Uhr. Ich fröstle etwas. Während ich mich langsam an die Wassertemperatur gewöhne und dabei Ausschau halte, welche Bahn noch am wenigsten belegt ist, spricht mich unvermittelt eine Frauenstimme an:
„Sehen Sie mal. Da drüben, die Dame! Sie ist mein großes Vorbild“, sagt eine Frau, während sie sich mit einer Hand am Beckenrand festhält und mit der anderen weiter im Wasser rudert. Vielsagend blickt sie in Richtung Eingang. Da sehe ich eine sehr alte Frau gerade die Stufen ins Becken hinuntergehen. Mit einer Hand hält sie sich am Geländer fest, mit den Augen kontrolliert sie ganz genau ihre tastenden Schritte. Die morgens besonders energiegeladenen Kamikaze-Schwimmer, die sich hier tummeln, scheinen sie nicht zu beeindrucken; Sie wissen schon, die, die weder links noch rechts gucken, ob da noch andere schwimmende Menschen unterwegs sind und einfach - mit großem Getöse - drauf los kraulen. Nein, die alte Dame scheint viel Erfahrung zu haben. Sie lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Auf der untersten Stufe angekommen, lässt sie sich lautlos ins Wasser gleiten. Mitten unter die Kamikazeschwimmer. Jetzt ist sie in ihrem Element. Wie ein Fisch im Wasser! Und mit schlafwandlerischer Sicherheit zieht sie ihre Bahnen…
„Sie ist wirklich mein Vorbild“, wiederholt die Dame neben mir, „wissen Sie, die Frau ist 92 (Jahre alt), und sie kommt jede Woche hierher; ich beobachte das schon viele Jahre. Was für eine Disziplin. Faszinierend. Sehen sie nur!“ Ich muss ihr recht geben.
Die Morgensonne hat inzwischen die große Glasfront der Schwimmhalle erreicht. Die Sonnenstrahlen breiten sich nach und nach über die ganze Wasserfläche aus. Dieses Zusammenspiel aus Licht, Wasser und den vertrauten Bewegungsmustern im Becken erzeugen eine leichte und beschwingte Atmosphäre. Ich muss an ein altes Kirchen-Lied denken: “Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang, sei gelobet der Name des Herrn.“
Ein Lied voller Hoffnung und vor allem voller Dankbarkeit für das Leben. Ob man noch jung ist oder schon alt: Sich die tägliche Lebensfreude bewahren – trotz manchem Kummer und Sorgen -, ist eine Gabe Gottes. Und Menschen, denen man diese Lebensfreude ansieht – sei es im Schwimmbad, im Supermarkt oder im Café, sind mit Recht Vorbilder für alle anderen. Am Ausgang treffe ich die alte Dame wieder, Sie lächelt verschmitzt und ist gerade dabei, eine Haarsträhne unter ihrer Wollmütze verschwinden zu lassen. „Ich habe gehört“, sage ich, „dass Sie jede Woche hierhin kommen.“ „Ja“, sagt sie, „wissen Sie, wenn es einmal ausfällt, werde ich ganz hibbelig. Mir fehlt dann was.“ „Was fehlt Ihnen denn dann genau?“, frage ich weiter. Und sie: „Es ist eine liebe Gewohnheit, ich bin dann immer so erfrischt, wach und – ach – ich freue mich einfach auf den Tag, der jetzt kommt.“
In diesem Sinne wünsche auch ich Ihnen einen guten Morgen,
Ihre Pfarrerin Nicola Thomas-Landgrebe aus Köln.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze