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Kirche in WDR 4 | 12.03.2025 | 08:55 Uhr
Pappburgbesitzer
Urlaubsfrühstück im
Hotel: Und wieder beobachte ich die Mitarbeiterin, deren Namen ich nicht kenne.
Was mir besonders an ihr auffällt: Ihr Blick. Da ist so ein Blitzen. Wie bei
einem Kind, das ein richtig gutes Geschenk bekommt. Es blitzt bei ihr immer dann,
wenn sie einen anderen Menschen sieht. Scheinbar egal wen. Und es sieht so aus,
als ginge es den anderen Gästen hier genau wie mir: Sie gibt einem das Gefühl,
ihr den Tag zu verschönern. Und so kann man gar nicht anders, als
zurückzulächeln, sich zu freuen und richtig gut in den Tag zu starten. „Sie
sind immer so freundlich, das tut so gut“ habe ich eines Morgens zu ihr gesagt.
Ihre Antwort kam prompt: „Lächeln kostet nichts.“
Das stimmt sicher nicht für jeden und jede. Mit wildfremden Menschen in Kontakt zu gehen, kann reichlich Überwindung kosten. Das erinnert mich total an eine wunderbare Geschichte von Karin Anneliese Ackermann, die ich vor Jahren mal in die Hand bekommen habe. „Haben Sie auch eine Burg?“ heißt es da direkt zu Beginn. Und weiter: „Ich habe eine, eine sehr schöne sogar. Groß ist sie, trotzig blickt sie ins Land, dunkel, ein wenig drohend, wie eine Burg eben auszusehen hat. Sie hat nur einen kleinen Fehler: Leider ist sie aus Pappe. „'Hm', höre ich Sie denken, 'aus Pappe? - Wie unangenehm! Regnet es da nicht hinein?" - Ach, wissen Sie, das wäre das kleinste Übel. Was die Sache so erschwert: Meine Nachbarn dürfen nichts bemerken! Alle halten meine Burg doch für echt, steinern, uneinnehmbar!“
Und die Geschichte geht so weiter, dass dieser Pappburgbesitzer von seinen Nachbarn erzählt, die so fruchteinflößend sind mit ihren eigenen Burgen. Die sind natürlich anders als die eigene aus festem Stein und für alle Ewigkeiten gebaut. Der Pappburgbesitzer malt täglich an seiner Burg herum, bessert sie aus, auf dass ja keiner merkt, wie zerbrechlich sie ist. Und dass Besucher, Wildfremde also, nur bis ans äußerte Tor herankommen dürfen, bloß nicht zu nah. „Ach, es ist nicht einfach, ein Pappburgbesitzer zu sein!“ stöhnt er.
Und dann erzählt er von einer Nacht, nur wenige Tage zuvor. Ein großes Gewitter tobt, er steht am Fenster und zuckt bei jedem Blitz und jedem Donnerschlag zusammen. Und wie er da am Fenster steht, entdeckt er: „Als ein neuer Blitz alles taghell erleuchtete, erkannte ich meinen Nachbarn zur Linken, 'Heinrich der Steinerne' genannt, der versuchte, eine Plastikplane über die Zinnen seiner Burg zu zerren. Wozu, frage ich Sie, braucht man auf einer Steinburg Plastikplanen?“ Und nun, ein paar Tage später, da fragt der Pappburgbesitzer sich: „Was, wenn ich hier nicht der einzige Pappburgbesitzer bin?“ Und er führt aus, wie gerne er einmal hinter die Fassaden der anderen Burgen sehen würde. Und er beklagt sich: „Ich fürchte nur, es würde alles beim Alten bleiben, denn meine Nachbarn lassen mich einfach nicht an sich heran. Und meine Burg als Erster zu öffnen, das wage ich nicht.“
Lauter
Menschen, die in ihren Pappburgen sitzen, um sich zu schützen. Weil als erster
loszulächeln manchem eben doch was kostet. Hätte ich mich überwunden, die
Servicekraft nach ihrem Namen zu fragen, könnte ich sie hier und heute im Radio
grüßen. Hätte sie bestimmt gefreut. Und mich auch. Schon tragisch, all diese
Pappe um uns rum.