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Kirche in WDR 4 | 07.04.2025 | 08:55 Uhr
Schutzengel im halben Glas
Heute ist wieder Montag und weil wieder Montag ist, ist das Wochenende leider auch schon wieder vorbei…Und weil Peter Otten, der sonst hier an jedem zweiten Montag spricht, gerade in einer Reha ist, springe ich für ihn ein... Tja.
Peter kenne ich aus der Kirchengemeinde St. Agnes, wo er der Pastoralreferent ist und ich normales Gemeindemitglied. Und die Leute im Agnesveedel – so heißt hier in Köln das Viertel um die Kirche –, die lieben Peter. Und natürlich lieben sie auch Greta, die Pudelhündin. Über die spricht er hier ja immer wieder. Der große Peter und die flauschig-kleine Greta: eine Art Engel mit Hund. Peter ist ein Engel für die, die er manchmal ganz alleine beerdigt, weil sie keine Angehörigen haben. Er ist ein Engel für die, die fragen, ob noch einmal Kirchenasyl möglich wäre. Er ist ein Engel für die alte Dame, die er mit Greta zusammen besucht, weil sie sonst keinen reinlässt in ihrem Schneckenhaus namens Depression. Für viele hier im Radio ist Peter ein Engel. Weil er jeden zweiten Montag eine Tagesration bereit hält mit Glauben an die Menschheit – und manchmal auch an Gott. „Es müssen nicht Männer mit Flügeln sein, die Engel“ – heißt es in einem schönen Gedicht.
Und als ich Peter kürzlich wegen irgendwas anrief und seine matte Stimme sagte: „Tut mir leid, ich bin grad im Krankenhaus. Lungenembolie. Aber zum Glück: das Herz ist stark“. Da ist mir mein Herz in die Hose gerutscht. Und ich bin in den Dom gelaufen und habe eine Kerze angezündet. Und ich habe Peter ein Foto von der Kerze übers Handy geschickt und geschrieben: „Eine Dankkerze für deinen Schutzengel.“
Und als ich das abgeschickt hatte, kam ich mir sofort irgendwie komisch vor. Denn: Ich war unsicher, ob das nicht ein bisschen zu kitschig ist für Peter. Denn der hat einen großen Gerechtigkeitssinn. Und der Pferdefuß bei der Sache mit dem Schutzengel ist ja: Was ist mit denen, die kein Glück hatten im Unglück?
Wo war zum Beispiel der Schutzengel, als damals bei meinem besten Freund der Sohn mit einem Jahr aus dem Fenster krabbelt, runterfällt und stirbt? Hatte mein Freund, hatte seine Frau, hatte ihr Kind den Schutzengel nicht verdient? Sie merken: Das kann mitunter ganz schön schräg werden.
Aber zugleich erinnere ich mich an diesen Satz von Tante Leni. Damals, als ich beim Austragen der Dankeskarten meiner Erstkommunion auf dem Rad vom Laster überfahren wurde und im Krankenhaus wieder aufwachte. „Da hattest Du einen guten Schutzengel“, sagte Tante Leni. Während viele aus meiner Familie um mich herum standen und weinten, weil das alles ganz schön schlimm war damals – ich blieb Wochen im Krankenhaus, Schädelrisse – gab Tante Leni mir einen Satz mit zum Leben: „Du hattest einen guten Schutzengel“. Will sagen: „Du bist behütet“. Will sagen: „Seien wir dankbar für das, was grad ist.“ Will im Grunde sagen: „Das Glas ist halb voll“.
Ich gestehe, selten bin ich von der „Glas ist halb voll“-Fraktion. Irgendwie sehe ich im Glas immer beide Füllstände. Aber ich weiß von damals: Wie gut diese halb-voll-Glas-Sätze sind im richtigen Moment. Und ich hatte das Gefühl, dass Peter in so einem Moment war. Und als er auf das Foto mit der Kerze nach einer Weile mit einem Herz-Emoji geantwortet hatte, da war ich erleichtert.
Bestimmte Sätze können eigentlich gar nicht kitschig sein, wenn sie von Herzen kommen. Und ich wünschen Ihnen, dass Sie für die, die Sie im Herzen tragen, die richtigen Sätze bereit haben - im richtigen Moment. Nicht nur an einem Montagmorgen.