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Das Geistliche Wort | 27.04.2014 | 08:40 Uhr

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Martin Niemöller - Vom U-Boot zur Kanzel

Autor: Es war im 1. Weltkrieg am 25. Januar 1917. Martin Niemöller war als Offizier der kaiserlichen Marine im Adriatischen Meer unterwegs und wurde vor eine Entscheidung gestellt:

Niemöller: ...wo ich zwei Möglichkeiten zu handeln hatte, nämlich entweder den französischen Torpedobootszerstörer, der die Leute aus dem Wasser zog von dem Truppentransporter, den wir gerade versenkt hatten, den auch zu versenken, oder diesen Zerstörer nicht zu versenken. Eine dieser Möglichkeiten konnte ich bloß ergreifen, konnten wir bloß ergreifen. Die erste Möglichkeit bedeutete nach meiner ersten Reaktion eine Unmenschlichkeit gegen die armen Leute, die ohnehin am Ersaufen waren. Die zweite - es war ja nun Krieg - die zweite Möglichkeit: den Zerstörer mit seinen Geretteten paar Hundert französischen Soldaten einfach abziehen lassen, ohne ihn noch weiter zu belästigen, bedeutete für die Überlegung: Die sind heute Abend in Kreta und in drei Tagen sind sie an der Saloniki-Front und schießen auf unsere Leute. Eine ganz klare Wahl (bitteschön)… (1).

Autor: Für Martin Niemöller ein Erlebnis mit Folgen. Aufs Ganze gesehen wird er in dieser Wahl eine Kehrtwende um 180 Grad vollziehen. Vom begeisterten U-Bootkommandanten im 1. Weltkrieg hin zu einer Ikone der Friedensbewegung, die Seite an Seite mit Albert Schweitzer gegen Krieg und „Atomwahn“ auf die Barrikaden ging.

Was hat Niemöller auf seinem Lebensweg bewegt? Wie hat der Glaube seine Entscheidungen beeinflusst? Und was heißt das für uns? Darüber möchte ich heute Morgen mit Ihnen nachdenken, liebe Hörerin, lieber Hörer. Mein Name ist Roland Hosselmann. Ich bin evangelischer Pfarrer in und aus Lippstadt.

I

Musik 1: Track 3 Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern, Interpret: Heinz Rühmann, Text von Bruno Balz, Musik von Michael Jary, von CD Seine großen Erfolge (Digitally Remastered 2010), Label: MusicTales Classic, LC-Nr. 11391

Autor: Was er denn mal werden wolle? Auf diese Frage hatte schon der kleine Martin eine klare Antwort:

Niemöller: Eigentlich war ich mit vier Jahren irgendwie schon geprägt. Weil ich schon als Vierjähriger nur den einen Wunsch hatte: Ich will mal zur See fahren. (2)

Autor: Mitten in der imperialistischen Kaiserzeit mit seinem Traum von einem „Platz an der Sonne“ erblickte Martin Niemöller am 14. Januar 1892 in einem Lippstädter Pfarrhaus das Licht der Welt.

Nach dem Abitur, das er als Klassenbester absolviert, schlägt er die Offizierslaufbahn eines Marinesoldaten ein.

Bei der längsten Kriegsfahrt in der neuen Waffengattung der U-Boote ist er als Torpedospezialist an Bord. Im letzten Kriegsjahr kommandiert er das U-Boot UC 67. Der „Schrecken von Malta“ - so nennen ihn seine Gegner.

Als im November 1918 die UC 67 in das revoltierende Kiel einfährt, fühlt Niemöller sich „wie ein Fremder im eigenen Land“. Den Befehl, deutsche U-Boote an England auszuliefern, verweigert er. Das sollen bitteschön die tun, die „den Frieden jemacht haben“.

Niemöller scheidet aus der Armee aus. Doch schon bald sieht er sich vor eine neue Aufgabe gestellt. Eine Aufgabe, die nicht mehr, wie er das später ausdrückte, in der „Erhaltung seiner selbst, sondern in der Fruchtbarmachung seiner selbst“ besteht. Dabei bewegt ihn die Frage, in welchem Beruf er das sagen darf, was er wirklich denkt. Niemöller bittet seinen Vater um Rat.

Niemöller: „Junge, der freieste Beruf, den es heute noch in der Welt gibt, ist der Beruf des evangelischen Pfarrers. Und daraufhin entschloss ich mich, Theologie zu studieren.“ (3)

Autor: Es ist die Wahl des freiesten Berufes der Welt, die Martin Niemöller ins Gefängnis und ins Konzentrationslager bringen wird.

Musik 2: Track 4 Silence von CD Magico, Komp.: Jan Garbarek, Interpr.: Jan Garbarek, Charlie Haden, Egberto Gismonti, prod. Manfred Eicher, ECM 1151, 1980 ECM Records München, LC 02516

Autor: In den ersten Monaten der so genannten „Machtergreifung“ Hitlers begrüßt Niemöller lautstark den neuen Staat. Trotzdem gehört Martin Niemöller, mittlerweile erster Pfarrer an der traditionsreichen Sankt Annen Kirche in Berlin-Dahlem, von Anfang an zum kirchlichen Widerstand. Denn eines konnte und wollte er nicht hinnehmen: einen totalitären Staat. Den Staat, in dem Adolf Hitler Gott spielt und die nationalsozialistische Ideologie die Bibel ist. Wer aber einem totalitären Staat das Recht abspricht, totalitär zu sein, der bringt - ob er will oder nicht - den Machtapparat dieses Staates gegen sich auf und wird zu seiner Zielscheibe:

Niemöller: Das ist unsere Last, dass wir unausgesetzt Strolche, Volksfeinde und Landesverräter genannt werden. Und können´s nicht wehren. Das macht das Leiden der Gefangenen und Ausgewiesenen so bitter, daß der Tenor dieser Stimmen immer wieder ist: Sie müßten gezüchtet, sie müßten unschädlich gemacht werden ,zum Schutze von Volk und Staat´… (4)

Autor: Die entscheidende Frage, vor die sich die Kirche damals im Nationalsozialismus gestellt sah, lautete: Wer hat bei uns das Sagen: die Geschichtsmächtigkeit eines Adolf Hitler und seiner Ideologie oder doch jemand ganz anderes.

In dieser Situation am Abgrund tagte die erste Synode der Bekennenden Kirche in Barmen und stellte in ihrer Magna Charta, der Barmer Theologischen Erklärung, Jesus Christus als das eine Wort Gottes heraus, „dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben.“

Niemöller: Jesus Christus ist das Wort Gottes. Das hat mich über tausend biblische Querfragen hinweggeholfen.... Das heißt, in der Bibel ist bloß das für mich maßgebend, was Jesus von Nazareth als den Christus Gottes und den Heiland der Menschen bezeugt. (5)

Autor: Gefragt, ob diese Synode in Barmen ein Höhepunkt in seinem Leben gewesen sei, antwortet Niemöller:

Niemöller: Oh ja, ganz gewaltig. Ich würde sagen, ich bin von Barmen wieder zurück nach Berlin-Dahlem gereist mit dem Gefühl einer ungeheuren Befreiung. (6)

Autor: Bei einem bloßen Gefühl sollte es nicht bleiben. Je länger je mehr begreift Martin Niemöller: Ein Ja zu Jesus Christus mündet in ein Nein zu Adolf Hitler. Im Januar 1937 besucht Niemöller seine Heimatstadt Lippstadt und stellt die staatlichen Rechtsbrüche gegen die Kirche an den Pranger: die ungerechtfertigten Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen, die Diffamierungen und Verhaftungen. Gegen die nationalsozialistische Propaganda zieht er mit dem Argument zu Felde, es entrolle sich hier eine „Propaganda des Unglaubens“. Sie mache aus dem Kreuz „Brennholz“. Hitler habe „nie in seiner Tasche die Losung der Brüdergemeinde* getragen.“ Dem Kirchenbeauftragten Hitlers, Hanns Kerrl, sei die Kirche völlig gleichgültig. Er sei „nie ein Christ gewesen.“, donnert Niemöller. Und dann wörtlich: „Wir haben keinen christlichen, sondern einen antichristlichen Staat.“

Im Sommer desselben Jahres wird Niemöller verhaftet. Es schweben 40 Verfahren gegen den mittlerweile weltbekannten Pfarrer. Der deutsche Gerichtshof fällt ein Urteil, das faktisch einen Freispruch darstellt. Doch Hitler setzt das Urteil seiner eigenen Gerichte außer Kraft.

Eingesperrt in die Konzentrationslager Sachsenhausen und Dachau, ist Martin Niemöller über die gesamte Dauer des Zweiten Weltkrieges hinweg der „persönliche Gefangene“ Adolf Hitlers. Fast die ganze Welt stand damals in der Versuchung, zwischen Deutschland und dem Nationalsozialismus gar nicht mehr zu unterscheiden. In dieser Zeit war es gerade der inhaftierte, zur Untätigkeit und zum Schweigen verurteilte Niemöller, der im Gegenzug den kirchlichen Widerstand symbolisierte und im Ausland für das „andere“ Deutschland stand. Schon im Untersuchungsgefängnis in Moabit ließ man ihm mitteilen, dass die Eskimos in Kanada und die Eingeborenen auf Sumatra für ihn beten.

Musik 3: Track 1 Ballarina von CD Magico, Komponist: Jan Garbarek, Interpreten: Jan Garbarek, Charlie Haden, Egberto Gismonti, produziert von Manfred Eicher, ECM 1151, 1980 ECM Records München, LC 02516

Autor: Nach dem Kriegsende war Martin Niemöller der erste Deutsche, der öffentlich in Norwegen, Dänemark und Schweden, in den Niederlanden, in England, Irland und Schottland reden durfte. Zugleich stieg er in hohe und höchste Ämter auf: Leiter des Außenamtes der gerade erst aus der Taufe gehobenen Evangelischen Kirche in Deutschland. Kirchenpräsident in Hessen Nassau. Er stand an der Spitze der Deutschen Friedensgesellschaft.

Angesichts der Spaltung der Welt in einen Ost- und einen Westblock, die durch Deutschland und seine Metropole Berlin mitten hindurch ging, stellte sich für Niemöller die Frage: Welche Rolle soll Deutschland in diesem Widereinander der Blöcke spielen? Welche will es spielen? Die Rolle eines Riegels oder aber die einer Brücke?

Durch die Erfindung der Atombombe sah Martin Niemöller die Friedensthematik auf eine neue, bisher ungeahnte Ebene gehoben. Hat doch die Atombombe die Macht, das Leben und die Menschheit als ganzes total und unwiederbringlich zu zerstören. Deshalb muss man dagegen sein.

Entscheidend für die Art und Weise wie Niemöller nach 1945 agierte, war eine ganz bestimmte Schulderfahrung, die er selber die „Predigt des Galgens“ nannte.

In seiner Zelle im Konzentrationslager Dachau war ein Fenster. Wenn er sich auf einen Stuhl stellte, um durch das Fenster zu schauen, fiel sein Blick auf den Galgen im Inneren des Hofes. An diesem Galgen wurden tagein, tagaus Menschen aufgehängt. Nach seiner Befreiung sieht Niemöller sich mit der Frage konfrontiert, was er in jener Zeit vor 1937, als er noch auf freiem Fuß war, für diese Menschen getan hat.

Niemöller: Adam, wo bist du? Mensch, Martin Niemöller, wo bist du damals gewesen?, so fragt Gott. ... Als Christ hätte ichs wissen dürfen 1933 und wissen müssen, daß aus jedem dieser Menschenbrüder - mochte man sie Kommunisten heißen oder sonstwie - Gott in Jesus Christus mich fragte, ob ich ihm nicht dienen wollte. (7)

Autor: Für Martin Niemöller wurde aus dem Galgen eine Predigt, weil er anfing, das Kapitel 25 im Matthäus-Evangelium mit neuen Augen zu lesen. Hier sagt Jesus Christus und damit das eine Wort Gottes: „Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ Und umgekehrt!

Im Licht dieses Textes erblickte er in den Menschen, die aufgrund ihrer Haltung oder Herkunft ins Gefängnis kamen, am Galgen hingen, in den Krematorien verbrannt wurden, ganz genau die Menschen, mit denen Christus sich identifiziert hat. Der Nächste, und zwar der gefährdete, unter die Räder gekommene, ausgeschlossene Nächste, - er ist die Schicksalsfrage, die Gott mir stellt, und auf die ich vor ihm zu antworten habe.

Für mich bleibt Martin Niemöller auch 30 Jahre nach seinem Tod das, was er immer war. Ein Christ, der sich kompromisslos an Jesus Christus hält. Ein Bürger mit Zivilcourage. Mit einer eigenen Meinung und dem Mut, diese Meinung zu ändern. Ein Pfarrer, der das sagt, was zu sagen ist. Auch die unbequeme Wahrheit. Es verabschiedet sich von Ihnen mit den besten Wünschen - Pfarrer Roland Hosselmann aus Lippstadt.

Musik 4: Track 1 Opening von CD 2 Best of Philip Glass, Philipp Glass (Interpret und Komponist), 2007 Sony BMG Music Entertainment, LC 06868

Quellen Originaltöne:

* Martin Niemöller sagt „Brüdergemeinde“ (korrekt wäre: „Brüdergemeine“)

1. Track 10 von CD Karl Barth: Das Geschenk der Freiheit - Vortrag in Bielefeld 1953 [Audiobook], bearbeitet von Jürgen Jaissle, medienverband der Evangelischen Kirche im Rheinland (Januar 1998), ISBN-10: 3927563137 (1,10-2.11)

2. Track 1 von CD Zeitgenossen des Jahrhunderts: Martin Niemöller im Gespräch mit Klaus Figge und Henning Röhl, SWR 1972 und Der Audio Verlag GmbH, SWR Media GmbH 1999, ISBN 3-89813-022-3 (1,00 - 1,15)

3. = 2. Track 1 (8,21 - 8,31)

4. Track 2 Auszug aus einer von der Gestapo heimlich mitgeschnittenen Predigt in der Jesuskirche Berlin-Dahlem (7. April 1937), DeutschlandRadio, von CD Martin Niemöller: Reden, Predigten Gespräche, WDR, Deutschlandradio, FFFZ Produktion, 2002 2.0 - 2.28.

5. = 2. Track 2 (12,44 - 12, 52) und (13,03 - 13,15)

6. =2. Track 2 (14,12 - 14,27).

7. Track 3 Der Weg ins Freie (3. Juli 1946) von CD Martin Niemöller: Reden, Predigten Gespräche, WDR, Deutschlandradio, FFFZ Produktion, 2002 (15,03 - 15,11 plus ab 16:00)

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